Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
küßte. Du mußt das im Licht seiner heiligen Anfälligkeit sehen.«
»Pharao liebt es, zu küssen«, bemerkte Joseph.
»Ja, zu sehr«, erwiderte sie. »Ich glaube, du bist klug genug, zu verstehen, daß es eine Gefahr ist für das Reich, das einen übermächtigen Gott im Innern und außen lauernde Neider hat, Zinspflichtige dazu, die Aufruhr sinnen. Darum billigte ich es, daß du ihm von der Rüstigkeit deines Ahnen sprachst, den das Gottesdenken nicht schwächte.«
»Ich bin kein Kriegsmann«, sagte Joseph, »und auch der Ahn war es nur bei dringendster Gelegenheit. Mein Vater war zeltfromm und zu tiefem Sinnen geneigt, und ich bin sein Sohn von der Rechten. Unter meinen Brüdern allerdings, die mich verkauften, sind mehrere, die sich beträchtlicher Roheiten fähig erwiesen haben. Kriegshelden waren die Zwillinge, die wir so nennen, obgleich sie ein Jahr auseinander sind. Aber auch Gaddiel, der Sohn der Kebse, ging, zu meiner Zeit wenigstens, mehr oder weniger geharnischt.«
Teje schüttelte den Kopf.
»Du hast eine Art«, sagte sie, »von deiner Sippe zu reden – als Mutter möchte ich sie verzogen nennen. Alles in allem weißt du dir viel, wie es scheint, und fühlst dich jeder Erhöhung gewachsen?«
»Laß es mich so wenden, große Frau«, antwortete Joseph, »daß keine mich überrascht.«
»Desto besser für dich«, erwiderte sie. »Ich sage dir ja, daß er dich erhöhen wird, wahrscheinlich recht unmäßig. Er weiß es noch nicht, aber wenn er zurückkehrt, wird er es wissen.«
»Pharao hat mich erhöht«, antwortete Joseph, »indem er mich dieses Gottesgesprächs würdigte.«
»Papperlapapp«, machte sie ungeduldig. »Du hast’s darauf angelegt und dich ihm untergeschoben vom ersten Worte an! Vor mir brauchst du das Kind nicht zu spielen oder das Lamm, wie die dich nannten, die dich verzogen. Ich bin eine politische Frau, es lohnt nicht, Unschuldsmienen vor mir zu ziehen. ›Süßer Schlaf und Muttermilch‹, nicht wahr, ›Windelbänder und warme Bäder‹, das sind deine Sorgen. Geh mir doch! Ich habe nichts gegen die Politik, ich schätze sie und mache dir’s nicht zum Vorwurf, daß du deine Stunde nutztest. Euer Gottesgespräch war ja ein Göttergespräch auch wohl, und du erzähltest nicht übel von jenem Schalksgott, einem diebsschlauen Weltkind, dem Herrn des Vorteils.«
»Verzeih, große Mutter«, sagte Joseph; »es war Pharao, der von ihm erzählte.«
»Empfindlich und empfänglich ist Pharao«, versetzte sie. »Was er erzählte, gab deine Gegenwart ihm ein. Dich empfand er und sprach von dem Gott.«
»Ich war ohne Falsch gegen ihn, Königin«, sagte Joseph, »und werde es bleiben, was immer er über mich beschließen möge. Bei Pharao’s Leben, ich werde nie seinen Kuß verraten. Es ist lange her, seit ich den letzten Kuß empfing. Zu Dotan war es, im Tal, da küßte mich mein Bruder Jehuda vor den Augen der Kinder Ismaels, meiner Käufer, um ihnen zu zeigen, wie wert ihm die Ware sei. Den Kuß hat dein lieber Sohn ausgelöscht mit dem seinen. Mir aber ist seitdem das Herz voll von dem Wunsch, ihm zu dienen und ihm zu helfen, wie ich’s vermag und soweit immer er mich dazu ermächtigt!«
»Ja, diene und hilf ihm!« sagte sie, indem sie ganz nahe an ihn herantrat mit ihrer kleinen festen Person und ihm die Hand auf die Schulter legte. »Versprichst du’s der Mutter? Wisse, es ist eine hohe, ängstliche Not mit dem Kinde – aber du weißt es. Du bist schmerzhaft klug und hast sogar vom falschen Rechten gesprochen, indem du dem Vielgewandten das Wissen zuschobst, daß einer recht sein kann und doch falsch.«
»Man wußte und kannte es bisher noch nicht«, antwortete Joseph. »Es ist eine Schicksalsgründung, daß einer recht sein kann auf dem Weg, aber der Rechte nicht für den Weg. Das gab’s nicht bis heute, wird’s aber von nun an immer wieder geben. Ehrfurcht gebührt jeder Gründung. Und Liebe gebührt ihr, wenn sie so liebenswert ist, wie dein holder Sohn!«
Ein Seufzer kam von Pharao’s Seite, und die Mutter wandte sich nach ihm um. Er regte sich, blinzelte, löste den Rücken von der Wand, und in seine Wangen und Lippen kehrte die natürliche Farbe zurück.
»Beschlüsse«, ließ er sich vernehmen. »Hier müssen Beschlüsse gefaßt werden. Meine Majestät hat es dort geltend gemacht, daß ich keine Zeit mehr hatte und zurückkehren müsse zu sofortiger königlicher Beschlußfassung. Verzeiht meine Abwesenheit«, sagte er lächelnd, indem er sich von der Mutter zu
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