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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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fragte der große Ruben und nickte ihnen mit angezogenen Gesichtsmuskeln zu.
    Sie verstanden wohl, was er meinte. Er spielte auf die alte Geschichte an, rechnete den vertrackten Fund der Unglückssträhne zu, die sich ihnen nun drehte, weil sie einst gegen seine Warnung (hatte er sie eigentlich gewarnt?) die Hand an den Knaben gelegt. Sie verstanden ihn, weil ihnen mehr oder weniger der gleiche, unbestimmte Zusammenhang schwante. Schon daß sie Gott ins Spiel brachten und einander fragten, warum Er ihnen dies tat, bewies, daß sie denselben Gedanken hegten. Aber mit dem Gedanken, fanden sie, war es genug gewesen und Ruben hätte nicht auch noch eigens zu nicken brauchen. Vor den Vater zu treten, war schwieriger, als je, nach diesem Vorkommnis; noch ein Geständnis mehr war da abzulegen. Schimeon, Benjamin und nun diese Schiefigkeit noch, – nicht gerade erhobenen Hauptes kehrten sie heim. Zum Schmunzeln war ja etwas daran für ihn, daß sie gratis bezogen hatten, aber seine Handelsehre würde doch schwer beunruhigt dabei sein, und auch vor ihm sogar würden sie in einem Licht von erhöhter Schiefigkeit stehen.
    Einmal sprangen sie alle gleichzeitig auf, um zu den Eseln zu laufen und sofort das Kaufgeld zurückzubringen. Aber ebenso gleichzeitig ließen sie ab von dem Vorhaben, erschlafften, verzichteten und setzten sich wieder hin. »Es hat keinen Sinn«, sagten sie und meinten damit, daß es ebenso wenig Sinn habe und vielleicht noch weniger, das Geld wieder hinzubringen, wie es Sinn hatte, daß es ihnen wieder geworden war.
    Sie schüttelten die Köpfe. Noch im Schlafe taten sie das, einer jetzt, dann ein anderer, und zuweilen mehrere gleichzeitig. Sie seufzten auf in ihrem Schlaf, – es war wohl keiner, der nicht unwissentlich zwei- oder dreimal im Lauf der Nacht geseufzt hätte. Zwischendurch aber geschah es, daß um die Lippen des einen oder des anderen Schlummernden ein Lächeln spielte, ja, es kam vor, daß mehrere auf einmal glücklich im Schlafe lächelten.
    Die Unvollzähligen
    Gute Nachricht! Dem Jaakob wurde die Heimkehr seiner Söhne gemeldet, ihre Annäherung ans Vaterzelt mit tragenden Tieren, mit ihren Eseln, schwer wandelnd unter dem Korne Mizraims. Daß sie nur zu neunen waren, anstatt zu zehnen, wie bei ihrem Weggang, war denen nicht aufgefallen, die ihn benachrichtigten. Neun sind eine starke Gruppe, besonders mit all den Eseln; neun sind der Ansehnlichkeit nach so gut wie zehn; daß es nicht noch einer mehr ist, wird dem mäßig genauen Blick garnicht bemerklich. Auch Benjamin, der neben dem Vater vorm härenen Hause stand (der Greis hielt den Gatten Mahalia’s und Arbaths bei der Hand wie einen kleinen Buben), bemerkte es nicht; er sah weder neun noch zehn, sondern einfach die Brüder, die in stattlicher Anzahl wieder herankamen. Nur Jaakob erkannte es sofort.
    Erstaunlich, der Patriarch war nun doch an die neunzig, und man traute seinen altersstumpfen und nickenden braunen Augen mit den matten Drüsen-Zartheiten darunter nicht viel Scharfblick mehr zu. Für Gleichgültiges – und was wird nicht gleichgültig in diesen Jahren! – besaßen sie auch keinen. Aber die Ausfälle des Alters sind weit mehr seelischer als körperlicher Art: genug gesehen und gehört; mögen die Sinne dämmern. Es gibt jedoch Dinge, um derentwillen sie unvermutet Jägerschärfe, die Raschheit des stückezählenden Hirten zurückgewinnen und die Vollzähligkeit Israels war etwas, wobei Jaakob besser sah, als irgend jemand.
    »Es sind nur neun«, sagte er bestimmten und dennoch ein wenig bebenden Tones und wies hinaus. Nach einem sehr kurzen Augenblick fügte er hinzu:
    »Schimeon fehlt.«
    »Richtig, Schimeon geht noch ab«, erwiderte Benoni nach einigem Suchen. »Ich sehe ihn auch nicht. Er muß gleich nachkommen.«
    »Das wollen wir hoffen«, sagte der Alte sehr bestimmt und ergriff wieder die Hand des Jüngsten. So ließ er jene herankommen. Er lächelte ihnen nicht zu, er sagte kein Wort der Begrüßung. Er fragte nur:
    »Wo ist Schimeon?«
    Da hatten sie es. Offenbar war er wieder gewillt, es ihnen so schwer wie möglich zu machen.
    »Von Schimeon später«, antwortete Juda. »Sei, Vater, gegrüßt! Von ihm alsbald und nur dies gleich zuvor, daß du dir seinetwegen keine Sorgen zu machen brauchst. Siehe, wir sind zurück von der Handelsfahrt und wieder bei unserm Herrn.«
    »Aber nicht alle«, sagte er unbeweglich. »Ihr mögt gegrüßt sein. Aber wo ist Schimeon?«
    »Nun ja, er ist etwas rückständig«,

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