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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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ist tot, und er allein ist mir übrig. Stieße ihm etwas zu auf dem Wege, so hätte die Welt den Anblick, daß meine grauen Haare mit Jammer in die Grube gebracht wären.«
    Sie sahen einander verpreßten Mundes an. Das war ja lieblich, daß er Benjamin ›seinen Sohn‹ nannte, nicht ihren Bruder, und sagte, er allein sei ihm übrig.
    »Und Schimeon, dein Held?« fragten sie.
    »Allein will ich hier sitzen«, antwortete er, »und mich um ihn grämen. Zerstreut euch!«
    »Kindlichen Dank für Gespräch und Urlaub!« sagten sie und verließen ihn. Auch Benjamin ging mit ihnen und streichelte einem und dem anderen den Arm mit seiner kurzfingrigen Hand.
    »Laßt es euch nicht verdrießen, was er gesagt hat«, bat er, »und verbittert euch nicht gegen seine würdige Seele! Meint ihr, es schmeichelt mir und ich überhebe mich dessen, daß er mich seinen Sohn nennt, der allein ihm übrig geblieben, und daß er’s euch abschlägt, mich mit euch ziehen zu lassen? Weiß ich doch, er vergißt mir’s nie, daß Rahel starb an meinem Leben, und ist eine traurige Obhut, in der ich wandle. Denkt, wie lange es brauchte, bis er sich überwand, euch hinabziehen zu lassen ohne mich, und merkt daran, wie ihr ihm teuer! Nun braucht’s wieder nur eine Weile, bis er beigibt und schickt mich mit euch hinab zu dem Mann, denn er läßt unseren Bruder nicht in der Heiden Hand, er kann’s nicht, und außerdem – wie lange wird wohl die Speise reichen, die ihr Klugen dort unten umsonst bekommen? Also getrost! Ich Kleiner komm doch noch zu meiner Reise. Nun aber erzählt mir ein wenig noch von dem Markthalter da, dem Gestrengen, der euch so garstig beschuldigte und so schrullenhaft nach dem Jüngsten verlangte. Dessen könnt’ ich mich fast überheben, daß er mich durchaus sehen will und will mich zum Zeugen. Was ist es mit ihm? Der Oberste, sagt ihr, der Unteren? Und über alle erhöht? Wie sieht er euch aus und wie spricht er? Es ist kein Wunder, daß ich neugierig bin auf einen Mann, der so neugierig ist nach mir.«
    Jaakob ringt am Jabbok
    Ja, was ist ein Jahr von dieser Geschichte, und wer wollte wohl geizen mit Zeit und Geduld um ihretwillen! Geduld übte Joseph und mußte leben dabei und den Staats- und Handelsmann abgeben in Ägyptenland. Geduld übten die Brüder wohl oder übel mit Jaakobs Starrsinn und so tat Benjamin, indem er die Neugier bezwang auf seine Reise und auf den neugierigen Markthalter. Wir haben es von ihnen allen am besten, – nicht etwa, weil wir schon wissen, wie alles kam. Das ist vielmehr ein Nachteil gegen die, die in der Geschichte lebten und sie am eigenen Leibe erfuhren; denn Lebensneugier müssen wir schaffen, wo von Rechts wegen gar keine sein kann. Aber den Vorteil haben wir über jene, daß uns Macht gegeben ist über das Maß der Zeit und wir es dehnen und kürzen können nach freiem Belieben. Wir müssen das Wartejahr nicht ausbaden in allen seinen Täglichkeiten, wie Jaakob tun mußte mit den sieben in Mesopotamien. Erzählenden Mundes dürfen wir einfach sagen: Ein Jahr verging – und siehe, da ist es herum, und Jaakob ist mürbe.
    Denn es ist ja allbekannt, daß es damals mit den wässerigen Dingen noch lange nicht in die Reihe kam und Dürre zu drücken fortfuhr auf die Länder, die um unsere Geschichte liegen. Was kommen nicht für Teufelsserien vor in der Welt, und wie ficht es den Zufall an, der sonst den Wechsel liebt und den Sprung hin und her zwischen Gut und Schlimm, daß er wie versessen auf einmal mit Dämonengekicher immer dasselbe entstehen läßt, einmal übers andere! Schließlich muß er umspringen, – er höbe sich selber auf, wenn’s immer so weiter ginge. Aber toll kann er’s treiben, und daß er es bis zu siebenmal treibt, ist, wenn man ins Große rechnet, keine Seltenheit.
    Mit unseren Aufklärungen über den Wolkenverkehr zwischen dem Meere und den Alpen des Mohrenlands, wo die Wasser des Nils entspringen, haben wir, ehrlich gesagt, nur aufgeklärt, wie es geschah, nicht aber, warum. Denn mit dem Warum der Dinge kommt niemand zu Ende. Die Ursachen alles Geschehens gleichen den Dünenkulissen am Meere: eine ist immer der anderen vorgelagert, und das Weil, bei dem sich ruhen ließe, liegt im Unendlichen. Der Ernährer wurde nicht groß und ergoß sich nicht, weil es droben im Mohrenland nicht regnete. Das tat es nicht, weil auch in Kanaan keine Regen fielen, aus dem Grunde nämlich, weil das Meer keine Wolken gebar, und zwar sieben, mindestens aber fünf Jahre lang. Warum?

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