Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
doch hin und kauft uns ein wenig Speise!‹ und wir ihm antworteten: ›Wir können nicht, ohne, du gibst uns den Kleinsten dazu, denn der Mann dort unten, der Herr im Lande ist, hat’s uns hart eingebunden, daß wir ihn bringen, oder wir sehen sein Angesicht nicht‹, – siehe, da stimmte der Greis eine Klage an, eine wohlbekannte, die ins Herz schneidet, wie die Flöte, die in den Schluchten schluchzt, und holte aus im Liede und sang:
›Rahel, die lieblich Bereitwillige, um die meine Jugend diente Laban, dem Schwarzmond, sieben Jahr, meines Herzens Herz, die mir am Wege starb, einen Feldweg nur von der Herberge, sie war mein Weib und brachte mir willfährig zwei Söhne: im Leben einen und einen im Tode, Dumuzi-Absu, das Lamm, Joseph, den Schmucken, der mich zu nehmen wußte, daß ich ihm alles gab, und Benoni, das Todessöhnchen an meiner Hand, der mir noch übrig. Denn jener ging hinaus von mir, da ich’s ihm zugemutet, und ein Schrei erfüllte das Weltall: Zerrissen ist er, der Schöne zerrissen! Da fiel ich auf den Rücken und bin starr seitdem. Diesen aber halt’ ich an starrer Hand, der mir das Einzige ist, da zerrissen, zerrissen der Einzige. Werdet ihr nun auch das Einzige von mir hinausnehmen, daß ihn vielleicht das Schwein betritt, so werdet ihr meine grauen Haare in die Grube bringen mit solchem Herzeleid, daß es für die Welt zuviel wäre, sie ständ’ es nicht aus. Voll zum Äußersten ist sie von dem stehenden Schrei: Zerrissen ist der Geliebte, und käme dieser hinzu, sie müßte ins Nichts zerplatzen.‹
Hat mein Herr diese Flötenklage vernommen und dieses Vaterlied? Dann, so urteile er nach eignem Verstand, ob wir Brüder vor den Alten treten können ohne den Jüngsten, den kleinen Mann und bekennen: ›Eingebüßt haben wir ihn, er kam abhanden.‹ Ob wir’s ausstehen könnten vor seiner Seele, die an dieser Seele hanget, und vor der Welt, die des Jammers voll ist und nicht mehr verträgt, es würd’ ihr den Rest geben. Ob vor allem ich, Redner, Juda genannt, sein Vierter, so vor ihn kommen kann, das sollst du beurteilen. Denn noch nicht alles weiß mein Herr, noch lange nicht, und es fühlt deines Knechtes Herz, daß seine Rede sich zu noch ganz anderem aufheben wird in dieser notvollen Stunde. Ja, es fühlt, daß das Geheimnis, aus dem alle Eigentümlichkeit kommt, nur zu erhellen ist durch die Offenbarung anderen Geheimnisses.«
Hier geschah eine murmelnde Unruhe unter der Brüderschar. Aber Juda, der Löwe, erhob seine Stimme dagegen, redete fort und sprach:
»Bürgschaft hab ich übernommen vor dem Vater und mich zum Bürgen aufgeworfen vor ihm für den Kleinen; denn ebenso wie ich jetzt zu dir trat, nahe an deinen Stuhl, um diese Rede zu halten, also trat ich dem Vater nahe und verschwor mich ihm mit den Worten: ›Gib ihn mir in die Hand, ich hafte für ihn und wenn ich ihn dir nicht wiederbringe, so will ich die Schuld vor dir tragen ewiglich!‹ So meine Haftung, und nun urteile, eigentümlicher Mann, ob ich hinaufziehen kann zu meinem Vater ohne den Kleinen, daß ich einen Jammer sehe, der für mich und die Welt zuviel! Nimm mein Angebot! Mich sollst du einhalten an seiner Statt zu deinem Knecht, daß du mögliche Sühne hast und nicht unmögliche; denn ich will sühnen, sühnen für alle. Hier vor dir, Eigentümlicher, fass’ ich den Eid, den wir Brüder schworen, den gräßlichen, mit dem wir uns bündelten – mit beiden Händen fass’ ich ihn und breche ihn überm Knie entzwei. Unser Elfter, des Vaters Lamm, der Erste der Rechten, – das Tier hat ihn garnicht zerrissen, sondern wir, seine Brüder, haben ihn einst in die Welt verkauft.«
So und nicht anders endete Juda seine berühmte Rede. Wogenden Leibes stand er, und bleich standen die Brüder, wenn auch tief erleichtert, weil es heraus war. Dies kommt sehr wohl vor: die bleiche Erleichterung. Aber zwei Rufe ertönten: sie kamen vom Größten und Kleinsten. Ruben rief: »Was hör ich!«, und Benjamin macht’ es genau wie vordem, als sie der Haushalter eingeholt: die Arme warf er empor und schrie unbeschreiblich auf. – Und Joseph? – Er war aufgestanden von seinem Stuhl und glitzernd liefen die Tränen ihm die Wangen hinab. Denn es war so, daß die Garbe Lichtes, die vorhin von der Seite her auf die Brüdergruppe gefallen war, nach stiller Wanderschaft nun durch eine Luke am Ende des Saales ihm gegenüber gerade auf ihn fiel: davon glitzerten die rinnenden Tränen auf seinen Backen als wie Geschmeide.
»Was
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