Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
feststeht, die Brüder zuerst an die Reihe kamen, so lautet die Antwort: Um der Steigerung willen geschah es. Selten tritt ja in festlicher Anordnung das Beste gleich an der Spitze daher, sondern Geringeres führt, danach folgt schon was Besseres, und erst dann allenfalls schwankt das Venerable daher, sodaß Beifall und Jubel zur Höhe schwellen. Der Streit um den Vortritt ist alt, war aber gerade unter dem ceremoniellen Gesichtspunkt jedesmal unvernünftig. Den Vorantritt hat immer das Mindere, und den Ehrgeiz, der auf ihm bestand, hätte man lächelnd gewähren lassen sollen.
Auch hatte der Brüder-Empfang einen sachlichen, sozusagen geschäftlichen Gegenstand, der zuerst ins Reine zu bringen war. Dagegen stellte Jaakobs kurzes Gespräch mit dem jugendlichen Götzen nur eine schöne Förmlichkeit dar, sodaß denn auch Pharao wegen einer Anrede in Verlegenheit war und auf nichts Besseres verfiel, als den Patriarchen nach seinem Alter zu fragen. Seine Unterhaltung mit den Söhnen hatte mehr Hand und Fuß, war aber dafür wie fast alle Gespräche des Königs von ministerieller Seite im Voraus festgelegt.
Die fünf wurden von schwänzelnden Kammerherrn in die Halle des Rats und der Vernehmung eingelassen, wo Jung-Pharao umgeben von statierenden Palastbeamten, Krummstab, Geißel und ein goldenes Lebenszeichen in der Hand unter dem bebänderten Baldachin saß. Obgleich sein geschnitzter Stuhl von altherkömmlicher Unbequemlichkeit, ein archaisches Möbel war, brachte Echnatôn es fertig, in über-lässiger Haltung darauf zu sitzen, da die hieratische Gliederordnung sich nicht mit seiner Idee der liebevollen Natürlichkeit Gottes vertrug. Sein Oberster Mund, der Herr des Brotes, Djepnuteefonech, der Ernährer, stand gleich am rechten Vorderpfosten des zierlichen Geheges und gab acht, daß das vom Dolmetscher vermittelte Gespräch verlief, wie es festgelegt worden war.
Nachdem die Einwanderer ihre Stirnen mit dem Estrich des Saales in Verbindung gebracht, murmelten sie eine nicht zu ausgedehnte Lobrede, die ihr Bruder ihnen eingeübt, und die er so zu gestalten gewußt hatte, daß sie höfisch ausreichte, ohne ihre Überzeugungen zu verletzen. Übrigens gelangte sie, als bloßer Schnörkel, gar nicht zur Übersetzung, sondern Pharao dankte ihnen sogleich mit spröder Knabenstimme und fügte hinzu, Seine Majestät sei aufrichtig erfreut, die ehrenwerte Sippschaft seines Wirklichen Schattenspenders und Oheims vor seinem Stuhle zu sehen. »Was ist eure Nahrung?« fragte er dann.
Juda war es, der antwortete, sie seien Viehhirten, wie ihre Väter es immer gewesen, auf jederlei Viehzucht verstünden sie sich aus dem Grunde. Nach diesem Lande seien sie gekommen, weil sie nicht Weide mehr gehabt hätten für ihr Vieh, denn hart drückte die Teuerung im Lande Kanaan, und wenn sie sich einer Bitte unterstehen dürften vor Pharao’s Angesicht, so sei es die, daß sie zu Gosen bleiben dürften, wo sie zur Zeit ihre Zelte hätten.
Echnatôn konnte eine leichte Verzerrung seiner empfindlichen Miene nicht hindern, als der Wiederholer das Wort »Viehhirten« aussprach. Er wandte sich an Joseph mit den verzeichneten Worten: »Die Deinen sind zu dir gekommen. Die Länder stehen dir offen und so auch ihnen. Laß sie am besten Orte wohnen, laß sie im Lande Gosen wohnen, es soll Meiner Majestät sehr angenehm sein.« Und da Joseph ihn blickweise erinnerte, setzte er hinzu: »Da gibt zudem mein Vater im Himmel Meiner Majestät einen Gedanken ein, den Pharao’s Herz sehr schön findet: Du kennst, mein Freund, deine Brüder am besten und ihre Tüchtigkeit. Setze sie doch, nach dem Grade derselben, über mein Vieh dort unten, zu Aufsehern setze die Tüchtigsten über des Königs Herden! Meine Majestät befiehlt dir recht lieb und freundlich, die Bestallung ausschreiben zu lassen. Ich habe mich sehr gefreut.«
Und dann kam Jaakob.
Sein Eintritt war feierlich und hoch-beschwerlich. Absichtlich übertrieb er seine Betagtheit, um durch erdrückende Alterswürde ein Gegengewicht zu schaffen gegen die Nimrod-Majestät und seinem Gott nichts vergeben zu müssen vor dieser. Dabei wußte er genau, daß sein höfischer Sohn etwas unruhig war wegen seines Verhaltens und besorgte, er möchte sich herablassend gegen Pharao benehmen und womöglich von dem Bocke Bindidi anfangen, weswegen er ihn sogar im Voraus kindlich vermahnt hatte. Jaakob gedachte nicht, diesen Punkt zu berühren, aber sich nichts zu vergeben, dazu war er allerdings entschlossen
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