Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
dem kreuzdummen und nur auf Verheerung bedachten Lindwurm nicht im Entferntesten in den Sinn gekommen wären, – zauberhaft auf eine ungewohnt aufgeräumte, zum Lachen reizende Weise.
Tatsächlich wurde im Volke viel gelacht – und zwar bewundernd gelacht – darüber, wie Joseph, unter gelassener Ausnutzung der Preis-Lage im Umgange mit den Großen und Reichen, für seinen Herrn, den Hor im Palaste, sorgte und ihn golden und silbern machte, indem er gewaltige Kaufwerte für das Korn, womit er die Besitzenden versah, in Pharao’s Schatzhaus strömen ließ. Darin erwies sich die geschickte Dienertreue einer Gottheit, die der Inbegriff alles ergebenen, Gewinn zuschanzenden Dienertums ist. Hand in Hand damit aber ging die Frei-Verteilung von Brotfrucht unter die hungernde Klein-Bevölkerung der Städte im Namen Jung-Pharao’s, des Gottesträumers, dem damit ebensoviel und noch mehr Nutzen geschah, als mit seiner Vergoldung. Es war eine Verbindung von Volksfürsorge und Kronpolitik, die sehr neu, erfinderisch und erheiternd wirkte, und von deren Reiz die erste Nach-Erzählung der Geschichte höchstens dem eine Vorstellung gibt, der sehr genau in ihre Ausdrucksweise eindringt und zwischen ihren Zeilen zu lesen weiß. Ihre Beziehung zur eigenen Urform, das ist: zu dem geschehenden Sich-selbst-Erzählen der Geschichte, deutet sich an in gewissen derben Wendungen von ausgesprochen komischer Prägung, die wie stehengebliebene Reste einer volkstümlichen Farce wirken, und durch die der Charakter des Urgeschehens hindurchschimmert. So, wenn die Darbenden vor Joseph schreien: »Her mit Brot für uns! Sollen wir etwa sterben vor dir? Geld ist alle!« – eine sehr tiefstehende Redensart, die im ganzen Bereich der Fünf Bücher sonst nicht vorkommt. Joseph aber antwortete darauf in demselben Stile, nämlich mit den Worten: »Los! Her mit eurem Vieh! Dafür will ich euch geben.« In diesem Ton haben die Bedürftigen und Pharao’s großer Markthalter selbstverständlich nicht verhandelt. Aber die Ausdrucksweise kommt einer Erinnerung daran gleich, in welcher Gesinnung das Volk die Vorgänge erlebte – einer komödienhaften Gesinnung, die moralischer Wehleidigkeit ganz entbehrte.
Dennoch hat das ehrwürdige Referat den Vorwurf ausbeuterischer Härte von Josephs Verfahren nicht fernzuhalten vermocht, sondern das Verdammungsurteil sittlich ernst gestimmter Gemüter hervorgerufen. Das ist begreiflich. Wir lernen da, Joseph habe im Lauf der Schmacht-Jahre erst einmal alles Geld im Lande an sich gebracht, will sagen: in Pharao’s Schatz versammelt, dann den Leuten das Vieh gepfändet und sie endlich ihrer Äcker enteignet, sie von Haus und Hof vertrieben, beliebig umgesiedelt und auf fremder Scholle als Staatssklaven fronen lassen. Es ist unliebsam zu hören, nahm sich aber in Wirklichkeit ganz anders aus, wie wiederum aus bestimmten erinnerungsvollen Wendungen des Berichtes deutlich hervorgeht. Man liest: »Er gab ihnen Brot um ihre Pferde, Schafe, Rinder und Esel und ernährte sie mit Brot das Jahr um all ihr Vieh.« Allein die Übersetzung ist ungenau und läßt eine gewisse Anspielung und Einflüsterung vermissen, deren das Original sich befleißigt. Statt »ernährte« steht dort ein Wort, das »leiten« bedeutet; »und leitete sie«, heißt es, »mit Brot für ihren Besitz jenes Jahr durch«, – ein eigentümlicher Ausdruck und absichtsvoll gewählt; denn er ist der Hirtensprache entnommen und bedeutet »hüten«, »weiden«, die sorgliche und milde Betreuung hilfloser Geschöpfe, einer leicht zu verwirrenden Schafherde besonders; und für das mythisch geübte Ohr wird dem Sohne Jaakobs mit diesem hervorstechenden und formelhaft feststehenden Wort die Rolle und Eigenschaft zugeschrieben des guten Hirten, der die Völker hütet, sie auf grüner Aue weidet und zu frischem Wasser führt. Hier, wie in den possenhaften Wendungen von vorhin, schlägt die Farbe des Urgeschehens durch; dies seltsame Tätigkeitswort »leiten«, das sich gleichsam aus der Wirklichkeit in den Erzählungstext eingeschlichen hat, verrät, in welchem Lichte das Volk Pharao’s großen Günstling sah: sein Urteil unterschied sich gar sehr von dem, das heutige Staats-Moralisten über ihn fällen zu müssen meinen, denn Hüten, Weiden und Leiten ist das Tun eines Gottes, den man als »Herrn des unterirdischen Schafstalls« kennt.
An den faktischen Angaben des Textes ist nicht zu rütteln. Joseph verkaufte an die, welche Schätze besaßen, namentlich an
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