Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
und schützte sich mit überwältigendem Alter. Übrigens war er nicht nur von jeder Prostration entbunden, da man ihm die dazu nötige Beweglichkeit nicht mehr zumutete, sondern es war auch beschlossen, die Audienz aufs Kürzeste zu beschränken, damit der Greis nicht zu lange zu stehen habe.
Sie betrachteten einander eine Weile schweigend, der luxuriöse Spätling und Gottesträumer, der sich in seiner vergoldeten Zierkapelle neugierig etwas aus der Über-Bequemlichkeit erhoben hatte, – und Jizchaks Sohn, der Vater der Zwölfe; sie sahen einander an, umhüllt von derselben Stunde und durch Zeitalter getrennt, der uralt gekrönte Knabe, kränklich bemüht, aus der aufgehäuften Gottesgelehrsamkeit von Jahrtausenden das Rosenöl einer zärtlich verschwärmten Liebesreligion zu destillieren, und der vielerfahrene Greis, dessen zeitlicher Standort am Quellenpunkt weitläufigsten Werdens war. Pharao geriet bald in Verlegenheit. Er war nicht gewohnt, zuerst das Wort an den zu richten, der vor ihm stand, sondern wartete auf den kurialen Begrüßungshymnus, mit dem man sich bei ihm einführte. Auch sind wir versichert, daß Jaakob diese Form-Pflicht nicht ganz verabsäumte: Er habe, heißt es, Pharao bei seinem Eintritt sowohl wie vor seinem Hinausgehen »gesegnet«. Das ist ganz wörtlich zu verstehen; der Erzvater setzte an die Stelle des obligaten Verherrlichungsgeleiers ein Segenswort. Nicht beide Hände hob er, wie vor Gott, sondern nur seine Rechte, und streckte sie mit würdigstem Zittern gegen Pharao aus, so, als erhöbe er sie aus einiger Entfernung väterlich über des Jünglings Haupt.
»Der Herr segne dich, König in Ägyptenland«, sprach er mit der Stimme des höchsten Alters.
Pharao war sehr beeindruckt.
»Wie alt bist du denn wohl, Großväterchen?« fragte er mit Erstaunen.
Da übertrieb Jaakob nun wieder. Wir sind berichtet, daß er die Zahl seiner Jahre mit hundertunddreißig bezeichnete – eine völlig zufällige Angabe. Erstens wußte er überhaupt nicht so genau, wie alt er war, – in seiner Sphäre pflegt man bis zum heutigen Tage sich darüber wenig klar zu sein. Zudem aber wissen wir, daß er es im Ganzen auf hundertundsechs Jahre bringen sollte, – eine im Bereich des Natürlichen sich haltende, wenn auch extreme Lebenszeit. Demnach hatte er damals die neunzig noch nicht erreicht und war für dieses bedeutende Alter sogar sehr rüstig. Immerhin gab es ihm die Mittel an die Hand, sich vor Pharao in größte Feierlichkeit zu hüllen. Seine Gebärde war blind und seherisch, seine Ausdrucksweise getragen. »Die Zeit meiner Wallfahrt ist hundertunddreißig Jahre«, sagte er und setzte hinzu: »Wenig und arg ist die Zeit meines Lebens und langet nicht an die Zeit meiner Väter in ihrer Wallfahrt.«
Pharao erschauerte. Ihm war jung zu sterben bestimmt, womit seine zarte Natur auch einverstanden war, sodaß diese Lebensmaße ihn geradezu entsetzten.
»Du himmlische Güte!« sagte er mit einer Art von Verzagtheit. »Hast du immer zu Hebron gelebt, Großväterchen, im elenden Retenu?«
»Meistens, mein Kind«, antwortete Jaakob, sodaß es dem Gefältelten zuseiten des Baldachins in die Glieder fuhr wie der Schlagfluß und Joseph mahnend den Kopf gegen den Vater schüttelte. Dieser sah es recht gut, tat aber, als sähe er es nicht, und, indem er hartnäckig bei erdrückenden Altersangaben blieb, fügte er hinzu:
»Zweitausenddreihundert sind den Weisen zufolge die Jahre Hebrons, und langet Mempi, die Grabesstadt, nicht daran nach ihrem Alter.«
Wieder schüttelte Joseph rasch den Kopf nach ihm hin, aber der Greis kümmerte sich nicht im Geringsten darum, und Pharao zeigte sich auch sehr nachgiebig.
»Es mag sein, Großväterchen, es mag sein«, beeilte er sich zu sagen. »Wie aber mochtest du deine Lebenstage wohl arg nennen, da du einen Sohn zeugtest, den Pharao liebt wie seinen Augapfel, sodaß keiner größer ist in beiden Ländern außer dem Herrn der Kronen?«
»Ich zeugte zwölf Söhne«, antwortete Jaakob, »und dieser war einer in ihrer Zahl. Fluch ist unter ihnen wie Segen und Segen wie Fluch. Etliche sind verworfen und bleiben erwählt. Wie aber einer erwählt ist, bleibt er in Liebe verworfen. Da ich ihn verlor, sollt’ ich ihn finden, und da ich ihn fand, war er mir verloren. Auf erhöhten Sockel tritt er zurück aus dem Kreis der Gezeugten, aber statt seiner treten hinein, die er mir zeugte, vor dem einen der andere.«
Pharao hörte diese sibyllinische Rede, die durch die
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