Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
färben wolle, und der also nicht auf der Nase zu spielen ein Verstoß gegen allen gemeinen Menschensinn gewesen wäre. Die Neigung zur Frechheit, zum Abfall und zum Verrat griff um sich. Die tributpflichtigen Ost-Provinzen vom Lande Seïr bis zum Karmel waren in Unruhe. Eine Bewegung unter den syrischen Stadtfürsten, sich unabhängig zu machen und sich dabei auf das kriegerisch gen Süden drängende Chatti zu stützen, war unverkennbar, und gleichzeitig brandschatzten die Bedu-Wüstlinge des Ostens und Südens, die auch davon gehört hatten, daß jetzt die Güte herrsche, die Städte Pharao’s und nahmen sie teilweise geradezu in Besitz. Amuns täglicher Ruf nach markigem Machteinsatz, wiewohl hauptsächlich innenpolitisch gemeint und gegen die »Lehre« gerichtet, war daher außenpolitisch nur zu gerechtfertigt, eine leidig-überzeugende Werbung des Heldisch-Alten gegen das Verfeinert-Neue, und machte Pharao viel Kummer um seines Vaters im Himmel willen. Die Hungersnot und Joseph aber kamen ihm zu Hilfe; sie nahmen dem Werberuf Amuns vieles von seiner Kraft, indem sie die wankelen Kleinkönige Asiens in wirtschaftliche Fesseln schlugen, und mochte es auch dabei nicht gerade mit Atônsmilde, sondern mit zielbewußter Unerbittlichkeit zugehen, so ist solche Härte doch gering zu veranschlagen in Ansehung dessen, daß sie es Pharao’n ersparte, sein Schwert zu färben. Das Wehgeschrei derer, die solchergestalt mit goldener Kette an Pharao’s Stuhl gebunden wurden, war oft schrill genug, daß es bis zu uns Heutigen gedrungen ist, aber alles in allem ist es nicht danach angetan, uns in Mitleid vergehen zu lassen. Gewiß, für Getreide mußten nicht nur Silber und Holz, es mußten auch junge Angehörige als Geiseln und Unterpfand nach Ägypten hinabgesandt werden – eine Härte, zweifellos, und doch will uns darob nicht das Herz brechen, zumal da wir wissen, daß asiatische Fürstenkinder in eleganten Internaten zu Theben und Menfe vorzüglich aufgehoben waren und dort eine bessere Erziehung genossen, als ihnen zu Hause je zuteil geworden wäre. »Dahin«, klang es und klingt es noch immer, »sind ihre Söhne, ihre Töchter und das Holzgerät ihrer Häuser.« Aber von wem hieß es so? Von Milkili zum Beispiel, dem Stadtherrn von Aschdod; und von dem wissen wir dies und das, was darauf hindeutet, daß seine Liebe zu Pharao nicht die allerverläßlichste war und eine Stärkung durch die Anwesenheit seiner Gemahlin und seiner Kinder in Ägypten sehr wohl brauchen konnte.
Kurzum, wir können uns nicht überwinden, in alldem Merkmale einer ausgesuchten Grausamkeit zu sehen, die nicht in Josephs Charakter lag, sondern sind viel eher geneigt, mit dem Volk, das er »leitete«, augenlachende Stückchen einer klug gewandten Diener-Gottheit darin zu erkennen. Dies war die allgemeine Auffassung von Josephs Geschäftsführung, weit über die Grenzen Ägyptens hinaus. Sie erregte Lachen und Bewunderung, – und was kann der Mensch unter Menschen Besseres gewinnen, als die Bewunderung, die, indem sie die Seelen bindet, sie zugleich zur Heiterkeit befreit!
Nach dem Gehorsam
Bei dem, was noch zu erzählen bleibt, muß man mit Wirklichkeitssinn die Altersverhältnisse der Personen ins Auge fassen, die im Geschehen standen, – Verhältnisse, von denen Lied und Gemälde im breiten Publikum vielfach irrigen Anschauungen Vorschub geleistet haben. Dies gilt freilich für Jaakob nicht, der zur Zeit seines Sterbens immer als höchstbetagter und fast blinder Greis bildlich vorgestellt wird; (tatsächlich nahmen während der letzten Jahre seine Augen zusehends ab, und Jaakob hielt gewissermaßen darauf und machte es sich des feierlichen Ausdrucks wegen zunutze, indem er sich Isaak, den blinden Segensspender, dabei zum Muster nahm). Was aber Joseph und seine Brüder, auch seine Söhne betrifft, so neigt die öffentliche Einbildung dazu, sie alle auf einer gewissen Altersstufe festzuhalten und ihnen eine dauernde Jugendlichkeit zuzuschreiben, die diese Geschlechter aus aller Relation zu der schweren Bejahrtheit des väterlichen Hauptes bringt.
Es ist unsere Pflicht, hier berichtigend einzugreifen, keine märchenhafte Verschwommenheit zuzulassen und darauf hinzuweisen, daß nur der Tod, also das Gegenteil alles erzählenden Geschehens, Bewahrung und Stillstand gewährleistet, daß aber niemand Gegenstand des Erzählens und Angehöriger einer Geschichte sein kann, der dabei nicht rapide älter würde. Sind wir doch selbst, die wir diese
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