Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
damit ihr, wenn Jaakob in letzter Stunde seine Söhne zu Fluch und Segen um sich versammelt, nicht in dem Wahn lebt, der Zeltraum sei voll junger Leute gewesen. Wir wiederholen jedoch, daß Naphtali sich bei seinen Fünfundsiebzig die Sehnigkeit seiner langen Beine und die plappernde Behendigkeit seiner Zunge, zusammen mit seinem Bedürfnis nach Ausgleich des Wissens auf Erden und hin und her wechselnder Meldegängerei, fast unversehrt bewahrt hatte.
    »Knabe«, sagte Jaakob zu diesem zähen Greis, »gehe hinab von hier in die große Stadt, darin mein Sohn lebt, Pharao’s Freund, und rede vor ihm und sage ihm an: ›Jaakob, unser Vater, wünscht deine Gnaden zu sprechen in wichtiger Angelegenheit.‹ Nicht erschrecken sollst du ihn, daß er denkt, ich sterbe schon. Sondern sollst zu ihm sagen: ›Unser Vater, der Alte, befindet sich wohl zu Gosen nach Maßgabe seiner Betagtheit und gedenkt noch nicht abzuscheiden. Nur die Stunde erachtet er für gekommen, einen Punkt mit dir zu bereden, der ihn selbst betrifft, liegt er gleich über sein Leben hinaus. Darum bemühe dich gütigst zu seinem Lager, das er schon meistens, wenn auch im Sitzen, hütet, in dem Haus, das du ihm bereitet!‹ Zieh’, Knabe, greife aus und sage ihm das!«
    Naphtali wiederholte flugs den Auftrag und machte sich auf die Socken. Hätte er nicht für die Hinfahrt mehrere Tage gebraucht, da er zu Fuße ausschritt, so wäre Joseph gleich da gewesen. Denn der kam zu Wagen, mit kleinem Gefolge und mit Mai-Sachme, seinem Haushalter, der zu großes Gewicht darauf legte, in dieser Geschichte zu sein, als daß er sich’s hätte nehmen lassen, seinen Herrn zu begleiten. Er wartete aber mit den anderen Hausleuten Josephs draußen, während dieser allein beim Vater im Zelte war, in des Hauses wohlstaffiertem Wohn- und Schlafraum, der nun das Geviert ist, zu dem der sonst weitläufige Schauplatz der Geschichte sich zusammengezogen hat. Denn dort, auf seinem Bette im Hintergrunde und in dessen Nähe, verbrachte Jaakob seine letzten Lebenstage, bedient von Damasek, Eliezers Sohn, selbst Eliezer genannt, einem in ein weißes Gurt-Hemd gekleideten Mann von noch jugendlichen Zügen, aber mit einer Glatze, die von einem Kranze grauen Haares umgeben war.
    Eigentlich war der Mann ja ein Neffe Jaakobs, denn Eliezer, Josephs Lehrer, war bei Lichte besehen der Halbbruder des Gesegneten von einer Magd gewesen. Seine Stellung aber war dienend, wenn auch erhöht über die des anderen Hofvolks; wie sein Vater nannte er sich Jaakobs Ältester Knecht und war über dessen Hause, wie Joseph über Pharao’s Hause war und Hauptmann Mai-Sachme über Josephs. Zum Hauptmann ging er hinaus, als er den Sohn beim Vater gemeldet hatte, und unterhielt sich mit ihm als seinesgleichen.
    Ägyptens Statthalter kniete nieder, da er das Gemach betrat, und berührte mit der Stirn den Filz und den Teppich des Bodens.
    »Nicht also, mein Sohn, nicht also«, wehrte Jaakob ab, sitzend dort hinten auf seiner Lagerstatt, eine Felldecke über den Knieen, zwischen zwei Tonlampen auf hölzernen Konsolen. »Wir sind in der Welt, und zu sehr achtet der geistliche Greis ihre Größe, als daß er willigen könnte in deine Gebärde. Willkommen mir, willkommen dem Altersschwachen, den Vorsicht entschuldigt, wenn er dir nicht väterlich-ehrerbietig entgegengeht, mein erhöhtes Lamm! Nimm einen Hockersitz hier bei mir, du Lieber, – Eliezer, mein Ältester Knecht, hätte dir auch einen herbeiziehen können, da er dich einließ, – er ist nicht, was sein Vater, der Brautwerber, war, dem die Erde entgegensprang, und wäre mir nicht gewesen, was jener mir war in der Zeit der blutigen Tränen. Welche Zeit meine ich aber? Die Zeit, da du warst abhanden gekommen. Damals hat er mir mit einem feuchten Tuch das Gesicht gewischt und mir manche Störrigkeit, die mir herausfuhr wider Gott, liebreich verwiesen. Du aber lebtest. – Deiner Nachfrage danke ich, es geht mir wohl. Der Knabe Naphtali von Bilha hatte den Auftrag, dich zu versichern, daß ich dich nicht an mein Sterbebett rüfe, – das will sagen: es wird mein Sterbebett sein, dieses Lager hier, und beginnt allgemach, diese Eigenschaft anzunehmen, aber besitzt sie in vollem Ausmaß noch nicht, denn noch ist einige Lebenskraft in mir, und noch nicht unmittelbar gedenke ich abzuscheiden, sondern ruhig wirst du von hier, bevor ich sterbe, noch ein oder zwei Mal in dein ägyptisch Haus und zu den Staatsgeschäften zurückkehren. Zwar bin ich gewillt und

Weitere Kostenlose Bücher