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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Vorgängern als sechstes und siebentes zuzuzählen seien oder nicht. Jedenfalls war um die Zeit, als diese Frage in allen Tempeln und Gassen erörtert wurde, Josephs agrarisches Reformwerk vollendet, und auf seinem Grunde regierte er fort als Pharao’s Oberster Mund und weidete seine Schafe, indem er sie um den Fünften schor.
    Man kann nicht sagen, daß er dabei seinen Vater und seine Brüder sehr häufig sah. Sie zelteten nahe bei ihm, im Vergleich mit früher, aber ein gutes Stück Reise war es immerhin zwischen der Stadt des Gewickelten, seiner Residenz, und ihrem Wohnsitz, und er war mit Verwaltungsgeschäften und höfischen Pflichten überhäuft. Die Berührung mit ihnen war weit lockerer als die drei rasch aufeinanderfolgenden letzten Besuche bei seinem Vater glauben lassen könnten, und im Hause Jaakob nahm niemand Anstoß daran, man billigte es schweigend, und dieses Schweigen war sehr sprechend, es drückte nicht nur das Verständnis für äußere Verhinderungen aus. Wer das leise Gespräch zwischen Jaakob und Rahels Erstem beim Wiedersehen, als sie allein zwischen den Siebzig und Josephs Gefolge standen, wohl belauscht hat, der weiß der beiderseitigen Zurückhaltung – denn sie war beiderseitig – den strengen und leise traurigen Sinn unterzulegen, der ihr zukam: einen Sinn des Gehorsams und des Verzichtes. Joseph war der Gesonderte, der zugleich Erhöhte und Zurückgetretene, – vom Stamme abgetrennt war er und sollte kein Stamm sein. Das Schicksal seiner lieblichen Mutter, dessen Name »verschmähte Bereitwilligkeit« gewesen war, erschien bei ihm wieder in Abwandlung und unter andrer Formel; es hieß: »absprechende Liebe«. Das war verstanden und hingenommen und weit mehr der Sinn dafür, als Entfernung und Geschäftslast, war der Grund der Zurückhaltung.
    Hört man die Redewendung, mit der Jaakob sich zum Vortrag einer bestimmten Bitte an Joseph wandte, die Floskel »Habe ich Gnade vor dir gefunden«, so hat man eine fast erkältende, fast beschämende Probe des betonten Abstandes, der sich zwischen Vater und Sohn, zwischen Joseph und Israel hergestellt hatte, und man gedenkt, wie Jaakob es tat, des frühen Traumes, des Traums auf der Tenne, in welchem mit den elf Kokabim auch Sonne und Mond sich vor dem Träumer geneigt und gebeugt hatten. Den Brüdern hatten die Träume tödlichen Gram und Haß erregt und sie zur Untat hingerissen, an der sie schwer zu tragen gehabt hatten. Aber seltsam ist es zu denken, was stillschweigend auch sie untereinander bedachten, daß dennoch die Untat ihren Zweck erfüllt und sie ihr Ziel damit erreicht hatten. Denn war’s auch wider alles Erwarten ausgegangen und hatten sie auch auf ihren Bäuchen gelegen vor dem, der im Unteren der Erste geworden war, – sie hatten ihn doch nicht umsonst verkauft, nicht nur in die Welt nämlich, sondern auch an die Welt, – an sie war er abhanden gekommen, und das Erbe, das der Gefühlvolle ihm willkürlich zugedacht, war ihm verwehrt: von Rahel, der Geliebten, war es auf Lea, die Verschmähte, übergegangen. War das nicht einiges Neigen und Beugen wert?
    »Habe ich Gnade vor dir gefunden« – es war beim ersten der drei Besuche, daß Jaakob so zu dem teuren Verfremdeten sprach, um die Zeit nämlich, als er fühlte, daß sein Leben abnahm und weit im letzten, sich nur müde, rötlich und spät noch über den Horizont emporschleppenden Viertel, vor völliger Verdunkelung stand. Er war nicht krank damals und wußte, daß es noch nicht aufs rascheste zu Ende ging. Denn er besaß gute Kontrolle über sein Leben und seine Kräfte, schätzte richtig ein, was ihm davon blieb, und wußte, daß er zwar noch etwas Zeit habe, daß es aber an der Zeit sei, einen Wunsch, der ihm am Herzen lag, und der ihn ganz persönlich betraf, demjenigen ans Herz zu legen, der allein die Macht hatte, ihn zu erfüllen.
    Darum schickte er zu Joseph und ließ ihn herbeibitten. Wen schickte er denn? Gewiß doch, Naphtali, Bilha’s Sohn, den Geläufigen, schickte er; denn geläufig von Beinen und Zunge war Naphtali immer noch, seinen Jahren zum Trotz, die man erwähnen muß, weil die Überlieferung auch über das Alter der Brüder einen Schleier der Unachtsamkeit breitet. Klar ins Auge gefaßt, bewegte es sich damals zwischen siebenundvierzig und achtundsiebzig, – wobei Benjamin, der kleine Mann, um nicht weniger als einundzwanzig Jahre hinter dem vor Joseph drittjüngsten, Sebulun, zurückstand, der achtundsechzig zählte. Dies wird schon hier erwähnt,

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