Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
ihren Stirnen, nachdem er verstummt war, ungewiß, ob er auch wirklich tot sei und nicht mehr blöken und künden werde. Allen war es, als sei das Eingeweide ihnen umgewandt und das Unterste komme ihnen zuoberst, so daß sie hätten erbrechen mögen; denn in des Sterbenden Wort und Wesen war etwas Ur-Unflätiges, greuelhaft Ältestes und heilig Vorheiliges gewesen, was unter allem Geschicht der Gesittung in den gemiedensten, vergessensten und außerpersönlichsten Tiefen ihrer Seele lag und ihnen heraufgekehrt worden war durch Jizchaks Sterben zu ihrer schwersten Übelkeit: ein Spuk und Unflat versunkener Vorzeit vom Tiere, das Gott war, dem Widder nämlich, des Stammes Gott-Ahn, von dem er stammte und dessen göttliches Stammesblut sie voreinst, in unflätigen Zeiten, vergossen und genossen hatten, um ihre tiergöttliche Stammesverwandtschaft aufzufrischen – bevor Er gekommen war, der Gott aus der Ferne, Elohim, der Gott von draußen und drüben, der Gott der Wüste und des Mondgipfels Gott, der sie erwählt hatte, der die Verbindung abgeschnitten mit ihrer Urnatur, sich ihnen vermählt durch den Ring der Beschneidung und neuen Gottesanfang gegründet hatte in der Zeit. Darum kam es ihnen übel herauf von des sterbenden Jizchaks Widdervisage und seinem Geblök; und auch dem Jaakob war übel. Aber auch schwer gehoben war seine Seele, da er nun, barfuß, bestaubt und geschoren, das Begräbnis zu versehen hatte, die Bräuche und Klagen und Opferschüsseln zur Zehrung für den Toten, zusammen mit Esau, dem Flötenbock, der vom Ziegengebirge gekommen war, mit ihm den Vater zu bestatten in der zwiefachen Höhle und nach seiner kindisch-ungezügelten Art, betränten Bartes, mit den Sängern und Sängerinnen zu heulen: »Hoiadôn!« Gemeinsam nähten sie Jizchak in ein Widderfell mit hochgezogenen Knien und gaben ihn so der Zeit zum Fraße, die ihre Kinder frißt, damit sie sich nicht über sie setzen, aber sie wieder herauswürgen muß, auf daß sie leben in den alten und selben Geschichten als dieselben Kinder. (Denn der Riese merkt’s nicht beim Tasten, daß die kluge Mutter ihm nur ein Ding gibt wie einen Stein, in ein Fell gewickelt, und nicht das Kind.) »Weh um den Herrn!« – Das war oft gerufen worden über Jizchak, dem verwehrten Opfer, und aber hatte er gelebt in seinen Geschichten und sie mit Recht in der Ich-Form erzählt, denn es waren die seinen: teils weil sein Ich zurück und hinaus verschwamm ins urbildlich Ehemalige, teils weil das Einst in seinem Fleisch wieder Gegenwart geworden sein und sich der Gründung gemäß wiederholt haben mochte. So hatten Jaakob und alle es gehört und verstanden, als er sich sterbend noch einmal das verwehrte Opfer genannt hatte: es gehört mit doppeltem Ohre gleichsam und doch einfach verstanden, – wie wir ja wirklich mit zwei Ohren eine Rede vernehmen und mit zwei Augen ein Ding sehen, Rede und Ding aber einsinnig erfassen. Dazu war Jizchak ein uralter Greis, der von einem kleinen Knaben sprach, welcher fast wäre geschlachtet worden, und ob dieser einst er selbst, oder ob es ein früherer gewesen war, fiel für das Denken und Wissen schon darum nicht ins Gewicht, weil jedenfalls das fremde Opferkind seinem Greisenalter nicht fremder und nicht in höherem Grade außer ihm hätte sein können als das Kind, das er einst gewesen.
Der Rote
Sinnig und schwer gehoben also war Jaakobs Seele in den Tagen, da er mit dem Bruder den Vater begrub, denn alle Geschichten standen vor ihm auf und wurden Gegenwart in seinem Geist, wie sie einst wieder Gegenwart geworden waren im Fleisch nach geprägtem Urbild, und ihm war, als wandelte er auf durchsichtigem Grunde, der aus unendlich vielen, ins Unergründliche hinabführenden Kristallschichten bestand, durchhellt von Lampen, die zwischen ihnen brannten. Er aber wandelte oben in seines Fleisches Geschichten, Jaakob, der Gegenwärtige, und sah Esau an, den durch List Verfluchten, der gleichfalls wieder mit ihm wandelte nach seinem Gepräge und Edom, der Rote, war.
Hiermit ist seine Persönlichkeit zweifellos fehlerfrei bestimmt, – zweifellos in gewissem Sinn, fehlerfrei unter Vorbehalt, denn die Genauigkeit dieser »Bestimmung« ist die Genauigkeit des Mondlichtes, der viel foppende Täuschung innewohnt und in deren Zweideutigkeit mit der Miene einer durch Sinnigkeit leicht vertieften Einfalt zu wandeln uns nicht ebenso zusteht wie den Personen unserer Geschichte. Wir haben erzählt, wie Esau, der Rotpelz, schon in jungen Jahren
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