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Josepsson, Aevar Örn

Josepsson, Aevar Örn

Titel: Josepsson, Aevar Örn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wer ohne Sünde ist
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Begegnungen mit Leichen, aber er blieb hart.
    »Ja, in diesem Fall musst du dir das ansehen. Tut mir leid«, sagte er und brach das Gespräch ab. Stefán fluchte leise, verließ den Aufzug und bereitete sich auf das Schlimmste vor. Doch obwohl die Tür schräg gegenüber weit offen stand, spürte er nur den gleichen schwachen Müllgeruch wie unten im Eingangsbereich. Der süßliche, Übelkeit erregende Geruch, mit dem er gerechnet hatte, fehlte ganz und gar. Merkwürdig, dachte er und blieb in der Tür stehen. Er schloss die Augen und atmete ein paarmal tief durch den Mund ein, bevor er entschlossen über die Schwelle trat. An der Tür zum Wohnzimmer hielt er abrupt inne. Kein Wunder, dass da kein Leichengeruch in der Luft lag.
    Der Mann, oder das, was noch von ihm übrig geblieben war, saß in einem dunkelbraunen Ledersessel gegenüber dem laufenden Fernseher, und dort hatte er offensichtlich lange gesessen. Sehr lange.
    Stefán ging davon aus, dass es sich um ein männliches Wesen handelte, darauf deuteten sowohl das Schild an der Tür als auch die Informationen des Mannes hin, der den Notruf verständigt hatte. Von Ólafur Áki Bárðarson war kaum etwas anderes übrig als Haut und Knochen. Leere Augenhöhlen in einem entstellten Gesicht starrten Stefán an. Die Nase war fast völlig verschwunden, ebenso die Lippen. Umso auffälliger waren die gelben Zähne und das grotesk bleckende Grinsen. Die gelbbraune, ledrige Haut lag so straff über den Knochen, dass die kleinste Unebenheit, jede vertrocknete Sehne und jedes Knöchelchen sich deutlich abhoben. Haarbüschel an einigen Stellen auf dem eingedorrten Kopf machten den Anblick noch grässlicher, genau wie die angefressenen Sachen an dem verschrumpelten Körper. Das Heft eines großen Messers ragte knapp unterhalb des Nabels aus dem Bauch heraus, und am Hemdkragen tauchte ab und zu etwas auf, was Stefán für lebendig hielt.
    Insgesamt ähnelte das Phänomen im Sessel eher einer miesen Reklame für einen noch mieseren Horrorfilm als den sterblichen Überresten eines menschlichen Wesens, dachte Stefán. Der Gedanke half ihm aber wenig, und erst als Eydís ihm die Hand tätschelte, schrak Stefán aus seiner Erstarrung auf und ging schnell hinaus auf den Etagenflur.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Eydís besorgt.
    Stefán nahm seine grüne Kappe ab, wischte sich über die feuchte Stirn und setzte das Teil wieder auf. Sein Gesicht war aschgrau.
    »Nein«, sagte er, »Mir geht’s nicht gut, und ich verstehe nicht, wie zum Teufel du auf die Idee kommen kannst, dass bei mir alles in Ordnung ist? Und warum zum Kuckuck habt ihr gedacht, dass ich mir das ansehen muss?« Er drehte sich auf dem Absatz herum und stiefelte zum Aufzug. »Katrín und Guðni sind auf dem Weg hierher. Richte ihnen aus, dass ich in meinem Büro bin, falls sie mich brauchen.«
    »Aber sein Sohn ist …«
    Die Aufzugtür hatte sich hinter Stefán geschlossen, noch bevor Eydís ihren Satz zu Ende bringen konnte. Sie schüttelte resignierend den Stoppelkopf und ging zurück in die Wohnung.
    »Wo ist Stefán?«, fragte Friðjón, ihr Chef. Der Hund. Sein Bart wurde von dem Gesichtsschutz verhüllt, und der weiße Tyvek-Anzug verdeckte sein grau meliertes Haar ebenso wie die Jeans und das knallbunte Hawaii-Hemd, eins von etwa vierzig Hemden dieser Art, die er im Lauf der Zeit gehortet hatte. Mit Schutzanzug machte er unbestreitbar einen wesentlich seriöseren Eindruck als ohne.
    »Er ist wieder weg«, antwortete Eydís achselzuckend.
    »Weg? Und was sollen wir mit dem da machen?«, beschwerte sich der Hund, indem er mit dem Kopf zu dem Mann deutete, der das Kinn in die Hände gestützt hatte und sich weigerte, seinen Platz auf dem Sofa zu verlassen.
    Eydís runzelte die Stirn. »Nichts, glaube ich, jedenfalls im Augenblick nicht. Katrín und Guðni sind unterwegs, und Einar ist ja bei ihm.«
    Der Hund gab ein verächtliches Knurren von sich. Er hielt nicht viel von Einar, diesem uniformierten Klotz, der auf dem Sofa neben Bárður Ólafsson saß und verlegen vor sich hinstarrte. Katrín war in Ordnung, ein intelligentes Mädchen seiner Meinung nach, und er verstand Stefán gut, dass er sich lieber auf sie als Stellvertreterin verließ als auf Guðni, diesen ungehobelten Kerl, auch wenn der etliche Jahre länger bei der Kriminalpolizei gewesen war als sie. Guðni hatte allerdings auch gewisse Vorzüge, im Gegensatz zu dem Vollidioten, der da wie ein geprügelter Köter auf dem Sofa saß. Ein

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