Josepsson, Aevar Örn
Teppich vor dem Sessel, hier war viel Blut geflossen. Und nicht zuletzt steckte ein großes Messer in dem eingefallenen und wurmzerfressenen Bauch der Leiche.
Obwohl alles darauf hindeutete, dass sie etliche Monate zu spät dran waren, um den Mörder auf frischer Tat zu ertappen, änderte das nicht im Geringsten etwas an der Tatsache, dass Vorschriften Vorschriften waren. Der Hund wurde es nicht müde, seinen Kollegen von der Kriminalpolizei Vorträge darüber zu halten, und dafür gab es letzten Endes auch gute Gründe.
»Eehrrre sei Gott«, rief jemand aus dem Fernseher hinter ihnen her.
»Amen«, murmelte Katrín gedankenlos. »Der Fernseher war auf diesen Sender eingestellt, als du kamst?«, fragte sie.
»Ja«, antwortete Bárður scharf, »du glaubst doch hoffentlich nicht, dass ich auf diesen Mist umgeschaltet habe?«
Die Wut in seiner Stimme überraschte Katrín, doch sie ließ sich nichts anmerken. »Er hat sich in den letzten Jahren fast nichts anderes mehr angesehen«, fuhr Bárður fort, »für etwas anderes interessierte er sich nicht mehr. Nur noch für Jesus, die WAHRHEIT und den Meister. Und den Schnaps natürlich.« Seine Wut verebbte genauso schnell, wie sie aufgeflammt war, er ließ die Schultern hängen, und die Farbe wich aus seinem Gesicht. »Der verfluchte Alkohol«, murmelte er wie zu sich selber, während sie zum Aufzug gingen. Auf dem Weg nach unten schwiegen sie.
»Und was geschieht als Nächstes?«, fragte Bárður, als sie wieder an der frischen Luft waren. Er zog die Jacke enger an sich, steckte die geballten Fäuste tief in die Taschen und zog die Schultern hoch. Es war kühl und ungemütlich, obwohl laut Kalender eigentlich Hochsommer war.
»Ich muss dich bitten, mit mir aufs Revier zu kommen«, sagte Katrín. »Ich glaube, das ist besser, als hier im Auto zu hocken.« Sie ging zu ihrem Wagen, den sie ganz in der Nähe geparkt hatte, und öffnete die hintere Tür.
»Ich bin auch mit dem Auto da«, sagte Bárður. »Mit einem Leihwagen.«
»Der bleibt hier stehen«, sagte Katrín, »du kommst besser mit mir. Ich lass dich nachher wieder hierherbringen, damit du ihn abholen kannst.«
Bárður setzte sich widerspruchslos auf den Rücksitz. Sie waren schon fast beim Hauptdezernat am Hlemmur, als er die Frage stellte, über die Katrín nachgedacht hatte, seit sie die übel zugerichtete Leiche erblickt hatte.
»Wie kann so etwas geschehen?«, schluchzte er. »Jemand stirbt, und monatelang merkt niemand etwas.«
Nicht mal jemandes Sohn, dachte Katrín, sagte aber nichts.
*
»Was ist denn hier los?«, fragte der Mann und stellte die Tüten mit den Aufschriften von Bónus und dem staatlichen Alkoholladen ab. Im nächsten Moment machte er Anstalten, in die Wohnung von Ólafur Áki Bárðarson zu marschieren, um der Sache auf eigene Faust auf den Grund zu gehen. Dort machte sich aber Guðni im Türrahmen breit, was ihm nicht sonderlich schwerfiel. Er trug mehr als doppelt so viel Kilo wie Lebensjahre mit sich herum, und das waren achtundfünfzig. Achtunddreißig Jahre war er im Polizeidienst gewesen, davon zwanzig bei der Kriminalpolizei. Die Leute, die imstande waren, sich an ihm vorbeizuzwängen, wenn es ihm nicht passte, konnte man an den Fingern einer Hand abzählen. Der Mann, der ihm jetzt gegenüberstand, gehörte nicht zu der Kategorie, auch wenn er ungefähr genauso groß war wie Guðni und überdies zwanzig Jahre jünger und mindestens vierzig Kilo leichter.
»Wer bist du?«, fragte Guðni, während er sich die Hose hochzog, die ihm dauernd unter den Bauch rutschte.
»Und wer bist du?«, war die Gegenfrage des Mannes. Er versuchte, den Kopf vorzustrecken, um über Guðnis Schulter einen Blick in die Wohnung zu erhaschen, doch Guðni setzte ihm die flache Hand ins Gesicht und schob ihn zurück.
»Ich habe zuerst gefragt. Wer bist du?« Der Mann wich beleidigt zurück. Guðni sah ihn forschend an. Unter den graugrünen Augen hatten sich Ringe gebildet, die Furchen von der Kartoffelnase herunter zum Mund hatten sich vertieft, und der mausgraue Haarschopf hatte gegenüber den Geheimratsecken an Boden verloren. Das Kinn war aber immer noch fliehend, die Lippen genauso dünn und die Zähne genauso schief wie früher. Guðni grinste und nahm den Stumpen aus dem Mund, an dem er herumgekaut hatte. »Blöde Frage. Du bist doch Úlfur, nicht wahr? Moment, wer war noch dein Vater …« Úlfur öffnete den Mund, doch Guðni wehrte ungeduldig ab. »Nein, sag’s mir nicht, das kommt
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