Josepsson, Aevar Örn
den Ohren anderer Höhergestellter mit Spitznamen zu benennen, es sei denn, du bist sicher, dass sie solche Spitznamen aus deinem Mund hören wollen. Unser Erkennungsdienstchef heißt Friðjón, wenn du mit mir sprichst, und weder Hund noch Kater oder Ähnliches, was dir aus dem Tierreich vertraut sein könnte. Und zweitens ist Eydís nicht Friðjóns Lesbe, sondern gehört auf ihrem Gebiet zu den fähigsten Experten hierzulande, und du bist weit davon entfernt, es dir leisten zu können, abschätzig über sie zu reden. Und drittens …« Stefáns Griff um das Kinn verstärkte sich, als er sah, dass der Junge die Stirn runzelte. »Ich weiß, dass ich zweierlei gesagt habe, aber scheiß drauf. Also, drittens musst du dir Gewissheit darüber verschaffen, welche Vorgesetzten sich dafür interessieren, wer welche sexuellen Präferenzen hat, bevor du versuchst, bei ihnen mit irgendwelchen Kommentaren dieser Art zu punkten, die nur deine eigene Unbedarftheit und Voreingenommenheit offenbaren. Capito?«
Der junge Polizist starrte Stefán mit großen Augen an und machte einen schwachen Versuch, zustimmend zu nicken. Das spürte Stefán, und er ließ das Kinn los.
Er ärgerte sich über diesen Jungen. Er fand Strafpredigten unerträglich, und dieses Bürschchen hatte ihn dazu gezwungen. Außerdem war es Freitag und schon nach vier, alles deutete darauf hin, dass es mit der lang ersehnten Erholung am Wochenende Essig war. Seine Gereiztheit verringerte sich auch nicht durch die Tatsache, dass der Hund wieder einmal vor ihm am Tatort eingetroffen war, obwohl Stefán als Erster die Meldung erhalten und sich sofort auf den Weg gemacht hatte. Dieser Friðjón war ein mysteriöser Hund, er kam ihm stets zuvor. Und jetzt war außerdem noch Eydís vor ihm eingetroffen. Aber Stefán erinnerte sich, dass sie in Breiðholt wohnte, vielleicht war sie zu Hause gewesen, als der Einsatzbefehl erging.
»Okay«, sagte Stefán, »zurück zur Sache. Friðjón und Eydís sind also da oben, und auch dein Kollege Einar, und dieser Bárður?« Der Junge nickte mit feuerrotem Kopf. »Schön. Sechste Etage links?«
»Ja«, murmelte der Junge.
»Du bleibst hier, es kommen noch mehr. Und jetzt reiß dich zusammen«, fügte Stefán hinzu, als er sah, wie geknickt das Bürschchen war. »Falls du bei der Polizei bleiben willst, musst du solche Anpfiffe von einem alten Griesgram wie mir ertragen lernen. Glaub mir, mein Junge, das hier war nur ein leichtes Tätscheln und keine Watsche.«
Der Junge schien nicht so ganz vom Wahrheitsgehalt dieser Worte überzeugt zu sein. Sein Problem, dachte Stefán. Auf dem Weg nach oben rief er den Hund an, obwohl er ihm in ein paar Sekunden gegenüberstehen würde.
»Stefán hier. Ist der Arzt schon da?« Unter normalen Umständen hätte er gefragt, ob Geir schon da sei, aber angesichts der Tatsache, dass der Freitag schon weit fortgeschritten war und dass Geir Jónasson, der Rechtsmediziner, der am häufigsten in Mordfällen zum Tatort gerufen wurde, um diese Zeit meist schon eine halbe Whiskyflasche geleert hatte, nannte er lieber keinen Namen. Es war zwar nicht die Regel, dass sich Geir um diese Zeit bereits ordentlich einen hinter die Binde gekippt hatte, aber auch nicht die Ausnahme. Stefán mochte den Alten und vermied es deswegen nach Möglichkeit, die Aufmerksamkeit auf dieses spezifische Problem zu lenken.
»Nein, Geir ist noch nicht da«, blaffte der Hund, der für seine alles andere als sozialen Umgangsformen bekannt war, wie auch sein Spitzname besagte. »Er ist aber auf dem Weg. Mir ist schleierhaft, wozu der überhaupt kommen muss.«
»Natürlich muss er kommen, was soll denn das?«
»Das wirst du selber sehen. Wo steckst du?«
»Im Aufzug, auf dem Weg nach oben. Muss ich mir das wirklich ansehen?«, fragte Stefán, der nach Möglichkeit eine Tatortbegehung erst dann in Angriff nahm, wenn das Opfer bereits abtransportiert worden war. In ausländischen kriminalistischen Theorien und unzähligen Krimis wurde zwar der Standpunkt vertreten, dass alle seriösen Kripobeamten den Tatort unbedingt ganz genau inspizieren mussten, um »Tuchfühlung mit dem Verbrechen zu bekommen« oder etwas ähnlich Intelligentes, aber auf diese Weisheiten hatte er nie so recht etwas gegeben. Fotos und Protokolle taten seiner Einschätzung nach genauso gute Dienste, und seine Erfahrungen hatten ihm bislang keinen Anlass gegeben, diese Einschätzung anzuzweifeln. Der Hund wusste sehr wohl von Stefáns Abneigung gegen
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