Josepsson, Aevar Örn
keine Ahnung, was er als Nächstes sagen sollte, und kam bald zu dem Schluss, dass es vielleicht besser war, nichts zu sagen. Es hatte ganz den Anschein, als wollte niemand über diese Frage sprechen, obwohl sie ihnen allen auf der Seele brannte. Stattdessen räusperte sich Ragnar.
»Prost«, sagte Bárður, als das Schweigen peinlich zu werden begann. »Auf Papa. Er war …« Bárður hob das Glas und beäugte die rubinrote Flüssigkeit, während er nach den richtigen Worten suchte. »Er war eben so, wie er war.«
»Das hätte ihm gefallen«, sagte Hólmfríður nach kurzem Schweigen mit unterdrücktem Kichern, »dass wir hier sitzen und auf ihn prosten. So wie wir ihm wegen dem Schnaps Vorhaltungen gemacht haben.«
Bárður grinste durch seine Tränen. »Ja. Wahrscheinlich wäre es ihm aber lieber gewesen, wenn wir mit etwas anderem anstoßen würden, für Rotwein war er nicht zu haben, der Gute.«
Sigurlaug sah ihre beiden Kinder an und führte sich einen ordentlichen Schluck zu Gemüte. »Euer Vater war gewiss nicht durch und durch schlecht«, erklärte sie dann, und angesichts der vorausgegangenen Tränenflut wirkte sie auf einmal erstaunlich ruhig und gelassen. »Aber trotzdem war er ein unglaublich mieser Typ, ihr Lieben, und das wisst ihr nur zu gut. Vor allem in den letzten Jahren, wo er euch von seinem Lazy Boy aus Vorschriften machen wollte, wie ihr euer Leben zu leben hättet, die seltenen Male, die ihr zu ihm gegangen seid. Ausgerechnet er hat sich das erdreistet, dieser Versager, der jeden Tag an der Flasche hing. Macht jetzt um Himmels willen keinen Heiligen aus ihm, bloß weil er tot ist.«
Bárður und Hólmfríður fiel beiden die Klappe herunter, und Ragnar in seiner Ecke musste grinsen. Endlich, dachte er. Es wurde Zeit, dass auf dieser Party jemand mal was Vernünftiges von sich gab. Viðar erwiderte Ragnars verschwörerisches Lächeln und hob sein Glas zum Zeichen, dass sie genau auf derselben Linie lagen. Und dann klingelte jemand an der Haustür.
*
»Ostermontag letztes Jahr«, sagte Hólmfríður ohne zu zögern. »Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen. Und nicht mehr mit ihm gesprochen.«
»Warum?«, fragte Katrín. Sie war zufrieden – fünf Fliegen mit einer Klappe, dachte sie, mehr konnte man sich nicht wünschen. Sie saßen in Sigurlaugs Küche. Die anderen vier, Sigurlaug, Bárður, Ragnar und Viðar warteten im Wohnzimmer. Hólmfríður zuckte mit den schmalen Schultern, die unter einem löcherigen grün glitzernden Etwas von einem Häkelpulli halb nackt wirkten. Katrín glaubte zu wissen, dass jede einzelne Masche nicht weniger als eine Krone gekostet haben musste.
»Früher war ich Papas Mädchen«, sagte sie, »ein typisches Papakind. Wenn ich Geld brauchte, hab ich mich an Papa gewandt. Wenn’s mir dreckig ging, war Papa für mich da. Wenn ich das Bedürfnis hatte, mit jemandem zu schmusen, kroch ich zu Papa aufs Sofa.« Wieder ließ sie die Schultern sprechen, zog sie hoch und beugte sich über den Tisch vor. »Ich hab ihn auch noch besucht, nachdem Mama ihn vor die Tür gesetzt hatte und nachdem ich aus ihr herausgelockt hatte, weshalb. Etwas anderes wäre gar nicht möglich gewesen.«
»Und warum hat deine Mutter ihn vor die Tür gesetzt?«, fragte Katrín. Sie würde dieselbe Frage nachher auch Sigurlaug stellen, aber es konnte nie schaden, zwei Versionen eines Sachverhalts zu hören, wenn das möglich war.
Doch den Gefallen tat Hólmfríður ihr nicht. »Das musst du schon Mama selber fragen«, erklärte sie bestimmt. »Ich würde dir ja auch sowieso nur das erzählen können, was sie mir gesagt hat.«
Katrín wollte sich nicht so leicht geschlagen geben. »Und was hat sie dir gesagt?«, fragte sie so neutral wie möglich.
Hólmfríður blieb stur. »Wie gesagt, danach musst du Mama fragen. Auf jeden Fall habe ich ihn weiterhin besucht. Anfangs war es auch immer ganz nett, aber das änderte sich leider mit der Zeit. Er war immer öfter besäuselt, wenn ich kam, dagegen war ja auch vielleicht nichts einzuwenden, solange er nicht sturzbesoffen war. Und ich fand es auch ganz nett, ein Gläschen mit ihm trinken und eine rauchen zu können, ohne dass jemand meckerte, aber irgendwann wurde es wirklich zu viel. Und nachdem sie ihn gefeuert hatten, wurde es immer schlimmer. Danach habe ich dann bald aufgehört, die Kinder mit zu ihm zu nehmen, was ich wirklich schade fand. Er war doch mein Vater und ihr Großvater …«
Katrín schwieg und wartete ab.
»Die letzten
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