Josepsson, Aevar Örn
nicht darum gebeten, er war ja bereits mehrere Monate tot. Anscheinend war es ihr aber diesmal nicht gelungen, sich nichts anmerken zu lassen.
»Ja, ja«, sagte Hólmfríður, und die Miene, die sie aufsetzte, war nicht misszuverstehen. »Du darfst ruhig schockiert sein. Ich habe dir gesagt, dass ich mich schäme, reicht das nicht? Du hast den Alten ja schließlich nicht gekannt. Und ob du es glaubst oder nicht, einen Tag vor Weihnachten hat man ohne Mann und mit zwei Kindern reichlich zu tun.«
Katrín lächelte entschuldigend. »Verzeih«, sagte sie, ich wollte dich nicht verletzen oder kränken …«
»Nur verurteilen«, erwiderte Hólmfríður böse.
»Nein«, sagte Katrín, »auch das nicht. Okay. Weißt du etwas über seine Freunde? Hatte er viele Freunde?«
Hólmfríður zündete sich eine Zigarette an und blies Katrín den Rauch ins Gesicht. »Das glaube ich kaum. Er hatte noch nie viele Freunde, auch nicht, als alles noch in Ordnung war. Und die wenigen, die er hatte, haben sich ungefähr zur gleichen Zeit wie ich von ihm abgewendet, denke ich. Als er sich bekehrte. Möglicherweise hat er noch Verbindung zu jemandem gehalten, vielleicht zu irgendwelchen früheren Arbeitskollegen, darüber weiß ich nichts. Ich bezweifle es aber. Natürlich kann er auch neue Kontakte in der Gehirnwäscherei bekommen haben. Andere mit Jesusfimmel. Darüber weiß ich allerdings nichts.«
»Und was ist mit Feinden?«
»Mit Feinden?«, echote Hólmfríður. »Nein«, erklärte sie dann, »das kann ich mir nicht vorstellen, wirklich nicht. Bestimmt haben ihn viele in den letzten Jahren stinklangweilig und unangenehm gefunden, aber Feinde – nein. Höchstens der Erzfeind in eigener Person, der Antichrist, Beelzebub, Satan oder wie diese Typen alle heißen, über die hat er oft genug geredet.«
»Ich habe meine Zweifel, dass der – oder die – hier am Werk waren«, sagte Katrín, »insofern muss er doch irgendeinen anderen Feind gehabt haben. Hast du eine Vorstellung, eine Idee, wer deinem Vater das angetan haben könnte?«
»Nein«, sagte Hólmfríður entschlossen und drückte die halb gerauchte Zigarette energisch aus. »Keinen blassen Schimmer.«
*
Úlfur warf das leere Glas in die Ecke, wo es in tausend Stücke zersprang.
Scheiße, dachte er. Und holte sich das nächste Glas.
4
Samstag
Guðni sah auf die Uhr. Halb zwei, dachte er, Zeit, in die Falle zu gehen. Er leerte das halb volle Bierglas in einem Zug, knallte es auf den Tisch, strich sich den Schaum von den Lippen und rülpste. Dann stand er auf, schaltete den Fernseher aus und wankte ins Schlafzimmer, zog sich aus und legte sich auf die rechte Seite. Anders konnte er nicht einschlafen, denn wenn er sich auf die linke Seite oder den Rücken legte, bekam er eine verstopfte Nase. Er hatte öfter als einmal mit dem Arzt über dieses Problem gesprochen und immer die gleiche Antwort erhalten: Du musst abnehmen, du musst mit dem Rauchen aufhören.
Yeah, right .
Sechs Stunden später wachte er übellaunig und unausgeschlafen auf, wie immer mit Kopfschmerzen und zum Platzen voller Blase. Letztere zwang ihn schließlich aus dem Bett, und er taperte halb blind ins Badezimmer. Er wusste, dass es keinen Zweck hatte, wieder ins Bett zu gehen, und machte sich ans Kaffeekochen. Fünf Tassen Wasser, sechs gehäufte Esslöffel Kaffee.
Der Kaffee war fertig, als Guðni seinen Morgenhusten hinter sich gebracht hatte. Er holte die H-Milch aus dem Kühlschrank und die Parkodin-Tabletten gegen den Husten aus der Schublade daneben. Zwei große Tassen Kaffee, zwei Parkodin, eine London Docks zum Kauen, eine zum Rauchen, und dazu die Zeitungen. In denen stand nichts, was sein Interesse weckte, abgesehen von einer Nachricht über einen vermeintlichen Möbeldiebstahl und einer anderen über die Probleme von Taxifahrern. Beide Artikel trugen nicht dazu bei, seine Laune zu verbessern. Er hörte sich die Nachrichten im isländischen Rundfunk an, ohne viel von dem mitzubekommen, was gesagt wurde. Danach ging er wieder ins Bad, gähnte gewaltig, kratzte sich am Bauch, rasierte sich und befreite sich pinkelnd von dem Kaffee. Anschließend ging er ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen.
Guðni schnüffelte an den Socken, die er gestern und vorgestern getragen hatte, und befand, dass sie noch mindestens einen Tag zu verwenden waren. Die gleiche Untersuchung am Hemd führte zum gleichen Ergebnis, und die graublaue Hose brauchte er gar nicht erst abzuchecken, um zu wissen, dass nichts an
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