Josepsson, Aevar Örn
Jahre …«, fuhr Hólmfríður stockend fort, »in den letzten Jahren wäre ich am liebsten auch selber nicht mehr hingegangen. Er wurde … er wurde von Mal zu Mal schwieriger.« Ihre Augen waren gerötet, wichen aber Katríns Blick nicht aus. »Er machte eine Therapie mit, und nicht nur eine, und dazwischen war er immer ein paar Wochen lang trocken. Jedenfalls habe ich ihn in den allerletzten Jahren nie wieder sturzbesoffen erlebt, auch wenn er wieder angefangen hatte, seinen Gin zu süffeln. Genau genommen tat er das wohl ziemlich häufig und nicht zu knapp. Mir blieb wahrscheinlich das Schlimmste erspart, weil ich immer nur tagsüber zu ihm gegangen bin und nicht abends. Von mir aus hätte er sich, ehrlich gesagt, auch gerne mit Schnaps volllaufen lassen dürfen, aber nicht mit diesem religiösen Mumpitz. Und selbst der wäre möglicherweise auch zu ertragen gewesen, aber nicht in Kombination mit Alkohol. Zum Schluss hab ich dann einfach das Handtuch geworfen. Es ist hässlich, so etwas zu sagen, und du darfst mir gern glauben, wenn ich dir sage, dass ich mich zu Tode schäme, jetzt, wo ich den Grund dafür weiß – aber als er aufhörte, mich anzurufen, war ich einfach nur froh. Unheimlich froh. Und mir fiel gar nicht ein, bei ihm anzurufen.«
Katrín beschloss, es dabei bewenden zu lassen und andere Fragen anzuschneiden. »Dein Besuch bei ihm im letzten Jahr«, sagte sie, »dieser letzte Besuch am Ostermontag, könntest du mir schildern, wie der verlief? Worüber habt ihr gesprochen, was habt ihr gemacht? Hast du irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt?«
»Nein«, entgegnete Hólmfríður, »nichts dergleichen. Er hatte schon das ein oder andere Glas intus und kam mir wieder mit der alten Leier über Gott und das bevorstehende Weltende und das neue Jerusalem und die Rückkehr des Messias und dieses ganze endlose Gewäsch. Und wie immer setzte er mich unter Druck, ihn zu einer Versammlung bei der WAHRHEIT zu begleiten. Nur einmal dem Meister zu lauschen …« Sie schüttelte resigniert den Kopf. »Der Meister, über den hat er immer geredet, als sei der ein Gott, fand ich, und nicht irgend so ein Prophet oder Pfaffe. Aber …«
»Aber du hast dich geweigert, mit ihm zu gehen?«
»Ja, wie immer. Allerdings …« Sie hielt inne und runzelte die Brauen. »Eins war da doch anders als normalerweise. Er hat nämlich zum ersten Mal versucht, mich zu bestechen, damit ich mich breitschlagen lasse, mit ihm zu gehen, und zwar nicht mit dem Versprechen auf ein ewiges Leben, sondern ganz konkret mit Geld.«
»Aber das hat auch nichts bei dir bewirkt, oder?«
Hólmfríður lachte. »Nein. Wenn ich wirklich geglaubt hätte, dass er irgendwelches Geld besaß, hätte ich vermutlich sogar nachgegeben und wäre einmal mit ihm gegangen. Ich war nämlich damals total abgebrannt.«
»Was hat er genau gesagt, kannst du dich daran erinnern?«
»Bloß irgend so was in der Art, dass er genug Geld hätte, viele Millionen, die er mir und Bárður geben würde, wenn wir nur mit ihm zu so einer Versammlung gingen. Wenn nicht, würde das Geld an die WAHRHEIT gehen, zur Verbreitung der frohen Botschaft oder so.«
»Hat er erwähnt, woher er all dieses Geld hatte?«
»Er behauptete, dass er im Lotto gewonnen hätte.«
»Aber das hast du ihm nicht geglaubt?«
»Nein, und Bárður ebenfalls nicht. Wir wussten beide, dass es einfach nur ein weiterer Versuch war, um uns zu dieser Gehirnwaschanstalt in Kópavogur zu schleifen. Du bist doch in seiner Wohnung gewesen, hast du da den Eindruck von Luxus und Reichtum gehabt? Die Sache hatte nämlich einen Haken, und das ist der Hauptgrund dafür, dass es mir nie eingefallen wäre, ihm zu glauben. Mein Vater spielte aus Prinzip kein Lotto, und er hat mich wer weiß wie oft deswegen angemacht, weil ich das tat. Lotto war in seinen Augen nichts anderes als eines der unzähligen Werkzeuge des Antichristen.«
»Alles klar«, sagte Katrín. »Du hast also deinen Vater zu Ostern besucht, und da war es wie lange her, seit du zuletzt bei ihm gewesen warst?«
»Ich habe einen Tag vor Heiligabend bei ihm vorbeigeschaut. Also 2004.«
»Und was wolltest du bei ihm?«
»Dasselbe wie immer. Ein bisschen aufräumen, sauber machen, Wäsche waschen. Es war ja kurz vor Weihnachten.«
»Aber zu Weihnachten im letzten Jahr hast du nicht bei ihm vorbeigeschaut?«
»Nein.«
»Weshalb nicht?«
»Er hat mich nicht darum gebeten«, sagte Hólmfríður geradeheraus.
Nein, dachte Katrín, natürlich hat er dich
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