Josepsson, Aevar Örn
natürlich Gott.«
»Gott? Was hat der denn damit zu tun?«, fragte Stefán, der sich keine Mühe gab, seine Verwunderung zu verhehlen.
»Vielleicht nicht Gott selber«, antwortete Katrín, »auf jeden Fall aber seine selbst ernannten Stellvertreter hier auf Erden. Hier in Island zumindest.« Sie berichtete Stefán von ihrem Gespräch mit Bárður und ließ sich nicht dadurch stören, dass Stefán dabei einzunicken schien. Sie kannte ihn nach den acht Jahren, die sie unter seiner Leitung gearbeitet hatte, recht gut. Auch nachdem sie geendet hatte, schwieg er noch eine ganze Weile.
»Schön und gut«, ließ er sich dann, plötzlich wieder hellwach, vernehmen. »Gut und schön. Erpressen oder bestechen – was hat er damit gemeint?«
Katrín zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Ungefähr bei dem Punkt fiel ihm auf einmal ein, dass er vielleicht seine Schwester anrufen müsste, und danach bin ich nicht mehr dazu gekommen, ihn zu fragen. Ich hätte natürlich noch weitermachen können, aber ich war mit den wichtigsten Punkten durch und fand es deswegen in Ordnung, ihn einstweilen wieder laufen zu lassen.«
»Okay, der Sache gehen wir morgen auf den Grund. Du sagst, dass er seinen Vater voriges Jahr zu Ostern zuletzt gesehen hat, am Ostermontag?«
»Ja, gegen Mittag.«
»Und wenn ich mich richtig erinnere, hat Úlfur Guðni gesagt, dass er ihn zuletzt am Ostersonntagabend gesehen hat.« Stefán blätterte in seinem Notizblock, bis er gefunden hatte, was er suchte. »Jawohl, er sagt, dass er bei Ólafur angeklopft und sich ein bisschen mit ihm unterhalten hat, um Alkohol von ihm zu schnorren, oder Fusel, wie er sich ausdrückt. Und zwar am Ostersonntagabend, und seitdem hat er angeblich nie wieder etwas von ihm gehört oder gesehen. Wir müssen wohl die Frage, wer Ólafur zuletzt lebend gesehen hat, vorrangig behandeln. Wir müssen sämtliche Kontenbewegungen von ihm kontrollieren und mit allen in dem Haus sprechen, mit allen Angehörigen …« Stefán unterbrach sich mitten im Satz und war auf einmal wie vom Donner gerührt.
»Wie zum Teufel kann so etwas passieren?«, fragte er empört. »Und das hier in Island, verdammt nochmal? Wir sind doch bloß dreihunderttausend Seelen, das ist doch nicht mehr als ein Kaff. Wie kann ein Mensch da monatelang herumliegen und verrotten, ohne dass irgendjemand es merkt? Was ist hier eigentlich los?«
Darauf hatte Katrín keine Antwort. Nachdem Bárður gegangen war, hatte sie fast die ganze Zeit darüber nachgedacht, war aber zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Sie entschied sich dafür, nichts zu sagen. Stefán schien auch keine Antwort ihrerseits erwartet zu haben.
»Jedenfalls müssen wir herausfinden, wann er gestorben ist«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Ich weiß, ich habe gesagt, dass du Feierabend machen sollst, aber vielleicht bist du doch bereit, noch …«
Katrín nickte. »Ich rede mit seiner Tochter. Und seiner Exfrau. Ich kann vielleicht auch noch eine Runde bei den Nachbarn drehen, mal sehen, wie spät es wird.«
Stefán schüttelte den Kopf. »Lass es für heute Abend genug sein mit den beiden Frauen. Mit den Nachbarn befassen wir uns morgen. Oder wir schicken einfach irgendwelche Kollegen in Uniform hin. Mal sehen.« Er runzelte die Brauen. »Vielleicht nimmst du besser Guðni mit, oder einen Uniformierten.«
Katrín wehrte ab. »Ich glaube, dafür besteht kein Bedarf. Diesmal nicht.«
*
Ragnar verstand das einfach nicht. Ólafur war tot, aus ihrem Leben verschwunden, und damit war endlich Schluss mit seinen Schikanen, doch statt auf diese guten Nachrichten anzustoßen, saßen alle drei, Bárður, Hólmfríður und Sigurlaug trübselig auf dem Sofa und heulten Rotz und Wasser. Er schielte zu Viðar hinüber, dem neuen Lebensgefährten von Sigurlaug und damit so etwas wie sein Schwiegervater. Viðar fing seinen Blick auf und gab ihm mit einem fast unmerklichen Kopfschütteln zu verstehen, dass er offensichtlich nicht weniger verwundert und ärgerlich über diese Reaktion war als Ragnar selber.
»Noch etwas Rotwein?«, erkundigte sich Ragnar vorsichtig und hielt die Flasche hoch. Sie nahmen das Angebot an, und er füllte die Gläser auf. »Also denn«, erklärte er anschließend in angemessen aufmunterndem Ton, »das ist natürlich alles entsetzlich und so weiter, aber ich meine … ich frage mich, wer kann denn so etwas getan haben?«
Sie starrten ihn alle drei wie auf Kommando an, und er errötete bis zu den Haarwurzeln. Er hatte
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