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Joyland

Titel: Joyland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Dunkeln da. Die Zeit schien rasend schnell zu vergehen. Fast wäre ich ins Haus gerannt und hätte die Polizei angerufen. Annie konnte ich nicht anrufen, weil ich ihre verdammte Telefonnummer nicht hatte, die bestimmt auch nicht im Telefonbuch stand, weil ihr Vater so berühmt war. Wusste er das? Wahrscheinlich nicht – er hatte einfach teuflisches Glück. So unverfroren, wie er war, hätte der blutrünstige Hurensohn schon längst gefasst werden müssen. Aber er war nicht gefasst worden. Weil er teuflisches Glück hatte.
    Sie hört bestimmt, wie er einbricht, und erschießt ihn.
    Nur dass die Gewehre in irgendeinem Safe waren, das hatte sie selbst gesagt. Und selbst wenn sie eines hatte, würde der Scheißkerl wahrscheinlich Mike das Rasiermesser an die Gurgel halten, wenn sie ihm entgegentrat.
    Ich drehte den Schlüssel ein weiteres Mal, und mit dem Fuß auf dem Pedal und dem Vergaser voller Benzin sprang der Ford auf einmal an. Ich ließ den Wagen rückwärts aus der Ausfahrt rollen und bog in die Straße nach Joyland ein. Das rote Neonlicht des Riesenrads und die blau schimmernden Gondeln des Thunderballs hoben sich gegen die niedrigen Wolken ab, die über den Himmel rasten. Diese beiden Anlagen waren in stürmischen Nächten immer beleuchtet, einerseits als Signalfeuer für die Schiffe auf See, andererseits um die kleinen Flugzeuge zu warnen, die auf dem Parish County Airport landen wollten.
    Der Beach Row lag verlassen da. Mit jeder Windbö – manche davon so stark, dass ich gegensteuern musste – wurden ganze Sandwolken über den Asphalt geweht. Im Straßengraben wuchsen bereits kleine Dünen empor. Im Scheinwerferlicht wirkten sie wie Knochenfinger.
    Als ich an den Läden vorbeifuhr, sah ich mitten auf dem Parkplatz neben einem der Joyland-Lkws eine einsame Gestalt stehen. Sie hob die Hand und winkte mir zu.
    Als Nächstes kam die viktorianische Villa auf der Strandseite. In der Küche brannte tatsächlich Licht. Wahrscheinlich die Neonlampe über der Spüle. Ich musste daran denken, wie Annie mit dem Pulli in der Hand durch die Tür getreten war. Wie braun ihr Bauch gewesen war. Ihr BH hatte fast die gleiche Farbe gehabt wie ihre Jeans. Möchtest du mit mir nach oben gehen, Devin? Im Rückspiegel leuchteten Scheinwerfer auf und kamen näher. Er hatte das Fernlicht eingeschaltet, sodass ich den Wagen nicht erkennen konnte, aber das war auch gar nicht nötig. Ich wusste, dass es ein Joyland-Lkw war, genauso wie ich wusste, dass er gelogen hatte, als er sagte, er würde mich nicht umbringen. Die Nachricht, die ich Mrs. Shoplaw hinterlassen hatte, würde morgen früh immer noch dort sein. Sie würde sie mitsamt dem Namen lesen, den ich niedergeschrieben hatte. Fragte sich nur, wie lange sie brauchen würde, um mir zu glauben. Er war ein solcher Charmeur, mit seinen gereimten Sprüchen, dem gewinnenden Lächeln und der Melone schief auf dem Kopf. Kein Wunder, dass alle Frauen in Lane Hardy vernarrt waren.
    *
    Das Tor stand offen, wie angekündigt. Ich fuhr hindurch und wollte den Wagen vor der verschlossenen Schießbude abstellen, aber er hupte kurz und ließ die Scheinwerfer aufblitzen: Fahr weiter. Als ich mich dem Riesenrad näherte, betätigte er die Lichthupe ein zweites Mal. Ich schaltete den Motor aus, wobei ich mir nur allzu bewusst war, dass ich ihn vielleicht nie wieder anlassen würde. Der rote Neonschein des Schleppers tauchte das Armaturenbrett, die Sitze und meine Haut in blutfarbenes Licht.
    Die Scheinwerfer des Lkws erloschen. Ich hörte, wie die Tür aufging und wieder ins Schloss fiel. Und ich hörte, wie der Wind durch die Streben des Riesenrads fuhr – heute Nacht klang es wie das Kreischen einer Harpyie. Begleitet wurde es von einem steten, halbwegs synkopierten Klappern. Das Spin schwankte auf seiner baumdicken Achse.
    Der Mörder von Linda Gray – und von DeeDee Mowbray, Claudine Sharp und Darlene Stamnacher – schritt auf meinen Wagen zu und klopfte mit dem Lauf einer Pistole gegen die Scheibe. Mit der anderen Hand bedeutete er mir auszusteigen. Ich folgte seiner Anweisung.
    »Sie haben gesagt, Sie würden mich nicht umbringen.« Meine Stimme klang so schwach, wie sich meine Beine anfühlten.
    Lane lächelte sein bezauberndes Lächeln. »Tja … wir werden sehen, wie wir später stehen. Oder nicht?«
    Die Melone hatte er sich übers linke Ohr geschoben und so festgedrückt, dass sie nicht wegflog. Seine Haare, die er nicht wie sonst zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte,

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