Joyland
wollten die Kerle? Was Erin bereits im Kasten hatte: ein Bild von mir ohne Howie-Kopf. Aber den Gefallen tat ich ihnen nicht, auch wenn ich mir sicher bin, dass weder Fred, Lane noch Mr. Easterbrook mir das übel genommen hätten. Warum ich es nicht tat? Weil es der Tradition des Parks zuwiderlief: In der Öffentlichkeit zog Howie das Fell grundsätzlich nie aus; genauso gut hätte man den Weihnachtsmann outen können. Als Hallie Stansfield beinahe erstickt wäre, hatte ich es natürlich getan, aber das war ein Notfall gewesen und deshalb ausnahmsweise erlaubt. Aber absichtlich würde ich nicht gegen die Regel verstoßen. Schließlich war ich Schausteller (wenn auch keiner von altem Schrot und Korn).
Später, nachdem ich wieder meine eigenen Klamotten angezogen hatte, traf ich mich mit Hallie und ihren Eltern im Kundenzentrum von Joyland. Aus der Nähe konnte ich erkennen, dass Mama bereits mit Nummer zwei schwanger war, obwohl sie wohl noch ungefähr drei oder vier Monate Zeit hatte, Essiggurken und Eiscreme zu essen. Sie umarmte mich und weinte noch ein wenig. Hallie wirkte nicht allzu bekümmert. Sie saß auf einem der Plastikstühle, ließ die Beine baumeln und blätterte in alten Ausgaben der Screen Times, wobei sie die Namen der verschiedenen Berühmtheiten mit der theatralischen Stimme eines Hofpagen ablas, der königlichen Besuch ankündigte. Ich tätschelte Mama den Rücken und brummte Schon gut, schon gut. Dad weinte nicht, aber ihm standen die Tränen in den Augen, als er zu mir trat und mir einen Scheck über fünfhundert Dollar in die Hand drückte, der auf mich ausgestellt war. Als ich ihn fragte, womit er seinen Lebensunterhalt verdiene, antwortete er, er habe das Jahr zuvor sein eigenes Bauunternehmen gegründet – noch stecke es in den Kinderschuhen, aber die Aussichten seien gut. Ich grübelte einen Moment, zog in Betracht, dass er ein Kind hatte und ein weiteres unterwegs war, und zerriss den Scheck. Für etwas, was zu meinem Job gehöre, könne ich kein Geld nehmen, erklärte ich ihm.
Dabei sollte man bedenken, dass ich erst einundzwanzig war.
*
Für die Saisonkräfte von Joyland gab es an sich kein Wochenende; alle neun Tage bekamen wir anderthalb Tage frei, also nie an den gleichen Tagen. Wir mussten uns in einen Kalender eintragen, und so gelang es Tom, Erin und mir fast immer, gleichzeitig freizunehmen. Deshalb saßen wir auch an einem Mittwochabend Anfang August gemeinsam an einem Lagerfeuer am Strand und gönnten uns eine Mahlzeit, wie sie nur jungen Leuten wirklich schmeckt: Bier, Burger, Kartoffelchips mit Grillgeschmack und Krautsalat. Zum Dessert gab es Schokokekse mit Marshmallows, die Erin über dem Feuer zubereitete – sie hatte sich in Pirate Pete's Ice Cream Waffle einen Rost geliehen. Das klappte ziemlich gut.
Wir konnten noch andere Lagerfeuer sehen – große und kleine, an denen gegrillt wurde oder auch nicht –, den ganzen Strand entlang bis zur glitzernden Metropole Joyland. Sie bildeten eine hübsche funkelnde Perlenkette. Solche Lagerfeuer sind im 21. Jahrhundert wahrscheinlich illegal; viele schöne Dinge, die den gewöhnlichen Menschen etwas bedeuten, sind inzwischen verboten. Ich weiß nicht, warum das so ist, nur dass es so ist.
Während wir aßen, erzählte ich den beiden von Madame Fortunas Prophezeiung, dass ich einem Jungen mit einem Hund begegnen würde und einem kleinen Mädchen mit einem roten Käppi, das eine Puppe in den Armen halte. Ich schloss mit den Worten: »Ihren ersten Treffer hat sie schon gelandet. Der zweite steht noch aus.«
»Wow«, sagte Erin. »Vielleicht kann sie wirklich hellsehen. Eine ganze Reihe von Leuten hat mir das erzählt, aber ich hab nicht …«
»Wer denn?«, wollte Tom wissen.
»Na ja … Dottie Lassen aus der Kostümschneiderei zum Beispiel. Und Tina Ackerley auch. Du weißt schon, die Bibliothekarin, zu der sich Dev nachts immer wieder heimlich rüberschleicht.«
Ich zeigte ihr den Stinkefinger. Sie kicherte.
»Zwei sind nicht eine ganze Reihe«, sagte Tom mit seiner hochnäsigen Professorenstimme.
»Zusammen mit Lane Hardy sind's schon drei«, sagte ich. »Mir hat er erzählt, dass sie manchen Leuten Sachen auf den Kopf zugesagt hat, die ihnen einen ziemlichen Schock versetzt haben.« Um auch ja nichts zu verheimlichen, fügte ich hinzu: »Er hat mir allerdings auch verraten, dass neunzig Prozent ihrer Prophezeiungen völliger Quatsch sind.«
»Wahrscheinlich eher fünfundneunzig«, sagte der hochnäsige Professor.
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