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Joyland

Titel: Joyland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ausgeblichenen Jeans und das T-Shirt mit den keck hochgerollten Ärmeln und ebenso das grüne Hollywood-Girl-Kleidchen mit dem Sherwood-Forest-Käppi. Das Mädchen, das in dem scharlachroten Schein der Neonlampe vor dem Tor des Parks stand, trug eine ärmellose blaue Seidenbluse, die sie unter den Gürtel eines Glockenrocks geschoben hatte. Sie hatte die Haare zurückgebunden und sah umwerfend aus.
    »Lass uns den Strand rauflaufen«, sagte sie. »Mir bleibt gerade noch Zeit, den Bus nach Wilmington zu kriegen. Ich treffe mich mit Tom.«
    »Hat er mir schon erzählt. Aber vergiss den Bus. Ich fahr dich.«
    »Wirklich?«
    »Klar.«
    Wir stapften über den feinen, weißen Sand. Am Himmel war ein Halbmond aufgegangen und warf eine Lichtspur über das Wasser. Auf halbem Weg nach Heaven's Bay – nicht weit von dem großen grünen viktorianischen Gebäude, das in jenem Herbst eine so wichtige Rolle in meinem Leben spielen sollte – nahm sie meine Hand. Wir redeten nicht viel, bis wir die Treppe erreicht hatten, die zu dem Parkplatz oberhalb des Strands führte. Dort blieb sie stehen und sah mich an.
    »Irgendwann kommst du drüber weg.« An jenem Abend hatte sie sich nicht geschminkt, und das war auch nicht nötig. Das Mondlicht war ihr Make-up.
    »Ja«, sagte ich. Einerseits wusste ich, dass sie recht hatte, andererseits bemitleidete ich mich aber irgendwie. Es war so schwer loszulassen. Selbst wenn das, woran man sich klammerte, mit Dornen besetzt war. Vielleicht sogar vor allem dann.
    »Und im Moment bist du da, wo du hingehörst. Das spüre ich.«
    »Spürt Tom das auch?«
    »Nein, aber ihm hat Joyland nie so viel bedeutet wie dir … oder mir. Und nach dem, was da in der Geisterbahn passiert ist … was er gesehen hat…«
    »Redet er mit dir darüber?«
    »Ich habe es versucht, aber jetzt lasse ich ihn damit in Frieden. Es passt nicht zu seiner Anschauung von Gott und der Welt, also versucht er, es zu vergessen. Aber ich glaube, dass er sich Sorgen um dich macht.«
    »Machst du dir Sorgen um mich?«
    »Um dich und den Geist von Linda Gray? Nein. Um dich und den Geist von dieser Wendy? Schon eher.«
    Ich grinste. »Mein Vater weigert sich, ihren Namen auszusprechen. Er nennt sie nur noch ›dieses Mädchen‹. Erin, tust du mir einen Gefallen, wenn du wieder an der Uni bist? Wenn du dafür die Zeit findest, meine ich.«
    »Klar? Was denn?«
    Ich erklärte es ihr.
    *
    Sie bat mich, sie in Wilmington am Busbahnhof rauszulassen und nicht vor dem Bed & Breakfast, wo Tom das Zimmer für sie gebucht hatte. Sie wollte lieber mit dem Taxi dorthin fahren. Ich wollte einwenden, das sei doch Geldverschwendung, hielt aber die Klappe. Sie wirkte ziemlich aufgeregt und irgendwie auch verlegen. Vermutlich wollte sie einfach nicht erst aus meinem Wagen aussteigen und sich dann gleich ausziehen und mit Tom Kennedy in die Kiste steigen.
    Als ich gegenüber dem Taxistand rechts ranfuhr, legte sie mir die Hände auf die Wangen und küsste mich auf den Mund. Lange und ausgiebig.
    »Wenn Tom nicht da gewesen wäre, hätte ich dafür gesorgt, dass du das dumme Weibsbild vergisst«, sagte sie schließlich.
    »Aber das war er.«
    »Ja. Ja, das war er. Melde dich bitte, Dev.«
    »Denkst du an das, worum ich dich gebeten habe? Das heißt, wenn du die Gelegenheit dazu findest.«
    »Ich denke daran. Du bist ein toller Kerl.«
    Ich weiß nicht, warum, aber ich hätte am liebsten losgeheult. Stattdessen zwang ich mich zu einem Lächeln.
    »Du musst zugeben, dass ich auch einen verdammt guten Howie abgegeben hab.«
    »Ganz ohne Frage. Devin Jones, der Retter kleiner Mädchen.«
    Einen Moment lang dachte ich, sie würde mich noch einmal küssen, aber das tat sie nicht. Sie schlüpfte hinaus und rannte mit fliegendem Rock zu den Taxis hinüber. Ich wartete, bis sie hinten in einen gelben Wagen eingestiegen und davongefahren war. Dann fuhr ich selbst davon, zurück nach Heaven's Bay und zu Mrs. Shoplaws Strandquartier … und meinem Herbst in Joyland entgegen. Dem schönsten und furchtbarsten Herbst meines Lebens.
    *
    Saßen Annie und Mike Ross am Ende des Plankenwegs unterhalb des grünen viktorianischen Gebäudes, als ich an jenem Dienstag nach dem Labor Day den Strand entlang zum Park stapfte? An das warme Croissant, das ich im Gehen aß, kann ich mich noch gut erinnern, und an die Möwen, die über mir kreisten. Aber die beiden? Ich weiß es nicht mehr. Sie wurden ein so wichtiger Bestandteil meines Lebens – ein fester, stets gegenwärtiger

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