Jud Sueß
Langsam, verworren, in Stücken. Ja, man habe doch gehört, wie gestern er und die Babett mit dem Juden Jecheskel Seligmann Freudenthal ihre Händel gehabt hätten. Aber der Jud habe dem Kind doch eine Korallenkette versprochen. Sie hätte zu ihm zurückgewollt. Er, der Kaspar, habe sie gehalten. Geprügelt. Nachts, vielleicht hatte der Jude ihr was eingegeben, sei sie dann auf einmal doch weg gewesen. Manchmal müsse der Mensch auch schlafen; da könne er dann den andern nicht halten, ja. Und jetzt habe er unter den Waren des Juden draußen ein Bündel Kleider gefunden, seien die Kleider der Babett. Müßt das Kind jetzt wohl nackend herumlaufen, nur mit dem Korallenkettlein. Ja, und jetzt sei den Juden ihr Osterfest.
Dies erzählte der Kaspar Dieterle, während er seine letzte notwendige Habe versoff. Er erzählte es mehrmals, und immer mehr Leute hörten zu. Und immer gekitzelter hörten sie zu, und immer gebannter und entsetzter starrten sie auf den Mund des Menschen, wo unter dem ausgefransten rötlichen Schnurrbart schnapsstinkend, aus den fauligen, schwärzlichen Zähnen weinerlich und tückisch die grausige Geschichte hervorkroch.
Und dann fand man auf dem Unrathaufen die zerschnittene Leiche, die Schweine fraßen schon daran. Fledermausflügelig, mit phantastischen Greueln ausgeschmückt, flog der Bericht von der Untat durch die Stadt. Zusammen liefen die Leute, alles Tagewerk in Haus und auf der Straße hörte auf,die Tore wurden geschlossen, der Rat zusammenberufen. Greuel über Greuel! Ein unschuldiges Christenkind scheußlich gemartert von den Juden, ihm das Blut abgezapft für die Osterkuchen, die verstümmelte Leiche den Schweinen vorgeworfen. So weit war es gekommen durch die Judenwirtschaft des württembergischen Herzogs, daß so schwarze Mordtat arrivieren konnte in der freien Reichsstadt Eßlingen zur Schmach und Schande des ganzen schwäbischen Kreises.
Tosende Erregung in der ganzen Stadt. Seit vierzig, nein, seit genau dreiundvierzig Jahren hat man keinen so grauenvollen Kriminalfall mehr erlebt im Römischen Reich. Fast schon wußte man nur mehr aus Büchern davon. In dieser Gegend war seit dem Ravensburger Kindermord nichts mehr dergleichen arriviert. Oh, wie klug waren die Väter gewesen, daß sie die Juden ausgeschafft aus dem Eßlinger Bannkreis! Seit dem Salomo von Hechingen, dem Arzt, hatte man nicht mehr zugelassen, daß einer von ihnen mit seinem Schelmenatem die ehrsame Luft der guten Stadt verstinke. Stolz und stark konnte man, als der Kaiser die Judensteuer einverlangte, erwidern, seit zwei Jahrhunderten sei keiner mehr in diesen Mauern gesessen. Jetzt hat der Herzog, der Ketzer, der Herodes, die Schelme und schwarzen Mordbuben ins Land gezogen, die den unschuldigen Christenkindern auflauern und ihnen das Blut abzapfen. Ängstlich verwarnen die Mütter ihre Kinder. Immer schrecklichere Einzelheiten gehen um. Was heut dem fremden Kind geschehen ist, kann morgen dem eigenen geschehen. Auf lange hinaus werden die verschreckten Würmer vor jedem Fremden davonlaufen und gräßlich von Blut und Messern und wilden Bärten träumen.
Der Jude Jecheskel Seligmann Freudenthal ging indes in der Vorstadt herum, seine Geschäfte besorgen. Er wurde verhaftet, wie er gerade demütig und beharrlich von einem säumigen Schuldner Geld eintreiben wollte. Er hatte durchaus keine Ahnung, worum es ging, und beteuerte immerzu, er habe gestern weder dem Kaspar Dieterle noch sonstwem zurückgeschimpft, er habe überhaupt nicht den Mund aufgetan.Denn dies war ein beliebtes Mittel dem jüdischen Konkurrenten gegenüber, daß man ihn durch Wort und Tat zu einer Erwiderung reizte und ihn dann einsperren ließ unter der Anklage, er habe durch freche Beschimpfung Christen um ihres Glaubens willen verunglimpft. Aber die Büttel schlugen ihn übers Maul, faßten ihn hart an, fesselten ihn. Draußen wurde der dürre, zitternde, entsetzte Mann von einer Menge Volkes empfangen, er sah hundert erhobene Arme, tobende Mäuler, Kot und Steine flogen gegen ihn, er wurde zu Boden gerissen, getreten, bespien, Haar und Bart wurden ihm gerauft. Er suchte immerzu auf seine Bedränger einzureden: japsend noch unter den Mißhandlungen, während ihm Speichel und Blut aus den Mundwinkeln rann, beteuerte er, er habe kein Schimpfwort, überhaupt kein Wort geredet. Erst aus dem Gezeter einer Frau, die ihn immerzu mit einer Spindel in die Weichen stach, erkannte er jäh die Beschuldigung, verlor die Sinne. Ohnmächtig wurde er in den
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