Jud Sueß
Turm gebracht.
Aber unter den Ratsherren war eine große, grimmige, höhnische Freude. Die Herzoglichen, die Judenzer, sind schuld an der scheußlichen Moritat. Wie wird man es ihnen vorreiben, wie wird man es ihnen zu schlucken geben! Endlich jetzt kann man dem Herzog und seinem Juden eins versetzen. Hat man nicht ständig Händel mit ihnen und Schikanen? Während einem die herzoglichen Wildsäue und Hirsche und all das Viehzeug die Felder verderben, klagt der freche Ketzer, die Eßlinger Bürger wilderten – ja, wie sonst sollen sie sich helfen? –, und nimmt sie hoch. Und queruliert er nicht ständig, die Eßlinger Straßen seien schlecht wider den Vertrag? Ho, ihr hochmögenden Herren!, was ist ein Loch in der Straße gegen einen so grauslichen Mord? Auch über die Neckar-Regulierung ist nicht mit ihm eins zu werden. Hat er nicht sogar die Einkünfte des Eßlinger Spitals aus dem Württembergischen gepfändet? Und sein Jud erst, der freche Malefizer und Schelm! Da hat etwan die Stadt, pro forma natürlich nur und um gewisse Erleichterungen zu erzwingen, den Schirmvertrag mit dem Herzog aufgehoben. Tut da dieserlausige Saujud nicht gleich, als nähme er die Geschichte ernst? Läßt einfach, als gäbe es wirklich keinen Schirmvertrag, die Eßlinger ganz wie andere Fremde behandeln! Schikaniert auf Schritt und Tritt ihren Handel und Wandel. Jedem einzelnen der Ratsherren hat er mehrere tausend Taler gehindert. Aber wart nur, Herr Jud! Jetzt wird man’s dir heimzahlen! An deinem schwarzen und verruchten Glaubensgenossen wird man es dir heimzahlen. In spanische Stiefel schnüren wird man ihn, das Blut aus den Nägeln herausquetschen, ihn mit glühenden Zangen zwicken. Jetzt schon freuen sich unter den Ratsherren die Anwohner des Marktes darauf, wie man ihn dort solenn verbrennen wird, und versprechen den Verwandten und Befreundeten Fensterplätze. Nur schade, daß man es bei einer einzigen Hinrichtungsart bewenden lassen muß. Man sollte ihn können zugleich hängen und rädern und vierteilen und verbrennen.
Der Älteste unter den Ratsherren war Christoph Adam Schertlin, der seinerzeit die Uracher Manufaktur begründet hatte und der, auf Altenteil in seinem Eßlinger Patrizierhaus, sein Werk langsam und unrettbar hatte versinken, dem Juden in die Hände gleiten, seine Söhne hatte verkommen und verlottern sehen. Er war hoch in den Siebzig. Dies war eine wilde und unvermittelte Freude vor seinem Grab. Tief aus der Brust holte er malmende Worte gegen die jüdische Verruchtheit, spie sie vor den Rat, einem ach! Unsichtbaren ins Gesicht. Hoch trug er den großen, verwitternden Kopf, starken Schrittes ging er durch die Straßen; heftig, als rennte er ihn dem Feind in den Leib, stieß er den Rohrstock gegen den Boden, den goldenen Knopf fest umschließend mit dürrer, doch nicht zitternder Hand.
Bei dem Meßwirt aber saß der Kaspar Dieterle. Er hatte es nicht mehr nötig, was zu verkaufen, um Schnaps zu kriegen. Immer saß ein dicker Haufe Menschen um ihn herum, bänglich und gekitzelt. Der früher als ein Lump und Aushauser von jeder Schwelle gejagt worden war, galt jetzt als wichtiger Mann und wurde groß hofiert. Immer buntere Einzelheitenerzählte er, längst glaubte er selber, daß ihm die argen Juden seine letzte Stütze tückisch geschlachtet hätten. Als stärksten Beweis führte er die Tatsache an, daß das Kind in der Christnacht sei geboren worden, und alle starrten verstrickt und grübelnd auf seinen Mund, wenn er, die wasserblauen Augen geheimnisvoll weit auf, dies vorbrachte. Denn das war ein bewiesenes Faktum und stand in vielen Büchern zu lesen, daß, wer in der Christnacht geboren ist, besonders gefährdet ist, von den Juden umgebracht zu werden.
Vor allem die Weiber hatten groß Mitleid mit dem Mann. War er doch Ursach und Warnung, ihre armen Kinder um so ängstlicher zu hüten. Sie steckten ihm Gebackenes und Gebratenes zu, Schinken und Schmalznudeln. Seine gedunsenen Wangen nahmen Farbe an, sein rötlicher Seehundsbart war ausgekämmt und weniger verfranst; nur seine fauligen, schwärzlichen Zähne blieben. Und eine Bäckerswitwe trug sich ernstlich mit dem Gedanken, den armen, verwaisten Mann, dem die Juden so übel mitgespielt, zu heiraten.
Der Leibarzt Doktor Wendelin Breyer untersuchte den Herzog. Ein dürrer, langer Mensch, ungeheuer beflissen, ängstlich und liebenswürdig, mit weiten, entschuldigenden Bewegungen, die hohle, angestrengte Stimme tief aus der Brust hervorgrabend. Er
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