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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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alles er für sie gäbe. Wenn ich sie wäre, ich würde den Solitär verlangen. Aber da würde er sich drücken. Und er reckte den dürrenHals mit dem blauroten, entfleischten Kopf und blinzelte aus tiefen Höhlen nach dem Stein.
    In der Schertlinschen Manufaktur in Urach war ein gewisser Kaspar Dieterle beschäftigt gewesen, ein vierzigjähriger Mensch, gedunsenes Gesicht, wasserblaue Augen, rötlicher Seehundsbart, kein Hinterkopf. Als die Manufaktur an die Sozietät Foa-Oppenheimer überging, wurde der Mann als Webmeister beibehalten. Er führte sich unterwürfig und geduckt, schimpfte aber im geheimen um so unflätiger gegen die jüdische Sauwirtschaft. Zettelte gelegentlich kleine Meutereien, machte, selber höchst servil, die anderen aufsässig. War dabei roh und gemein gegen die ihm Unterstellten. Wurde schließlich, als seine zweideutige Haltung aufkam, entlassen.
    Er konnte sich nicht entschließen, außer Landes Arbeit zu suchen. Verkam mehr und mehr. Brachte sich sehr elend durch einen erbärmlichen Hausierhandel fort und durch gelegentlichen Schmuggel verbotener, nicht gestempelter Waren. Wurde mehrmals ins Gefängnis gesperrt, einmal auch gestäupt.
    Er hatte eine kleine, verwaiste Base zu sich genommen, die ihm zusammen mit dem alten Hund den Hausierkarren schob und sonst behilflich war; fünfzehnjährig, ein verschmutztes Kind, klein, breit, scheu, frech, lauersam, verbockt, diebisch, dabei auf eine primitive Art kokett. Er hielt die Kleine schlecht, prügelte sie grausam, daß sie zuweilen lahm und blutig liegenblieb. Aber als die Behörde einschreiten, ihm das Kind wegnehmen wollte, hielt sie zu ihm, leugnete alle Mißhandlungen, ließ sich nicht von ihm trennen. Es war so, daß der Mann das verwahrloste, struppige, kleine Geschöpf durchaus als sein Weib hielt. Sie war ihm verbunden, sie liebte ihn auf eine gewisse Art, seine Roheit und sein verfranster Seehundsbart waren ihr Zeichen hoher Männlichkeit, sie liebte ihn, wenn er zärtlich zu ihr war und wenn er sie schlug. Sie wurde ihm allmählich immer unentbehrlicher, er begnügte sich, auf Messen und Märkten zu grölen, mitknauserigen Kunden und solchen, die nichts kauften, Händel anzufangen, zu saufen, ihrer beider Unterhalt lag schließlich allein auf ihren Schultern.
    Als sie sah, wie sie ihm nötig war, und ihre Macht über ihn spürte, begann sie widerborstig zu werden, ihn zu verhöhnen, vor allem reizte sie es, wenn er betrunken war, ein gefährliches Spiel mit ihm zu treiben. Immer öfter kam es, daß er sie prügelte, bis sie besinnungslos liegenblieb. Ein paarmal lief sie fort; aber sie kehrte doch immer zu ihm zurück, schließlich war er der einzige Mensch, über den sie eine gewisse Macht hatte und der an ihr hing.
    Auf solche Manier strolchte das seltsame Paar auf den Landstraßen herum, stahl, hausierte, lumpte sich mehr als kläglich durch. Der Kaspar Dieterle konnte gräßlich fluchen, unflätiger als sonst jemand im Land. Dies imponierte dem Mädchen ungeheuer und schien ihr besonders kraftvoll und männlich. Am schönsten war er, wenn er auf die Juden fluchte. Kaskaden von Gift und Dreck wälzten sich dann unter dem rötlichen Schnurrbart vor, das fahle Gesicht wulstete sich um die wasserblauen Augen, und das Mädchen hörte begeistert zu. Manchmal auch, in guter Laune, um die Kleine zu belohnen, mimte er einen Juden, ging krumm, mauschelte, versuchte sich, unter dem kreischenden Jubel des Kindes, den Schnurrbart als Schläfenlöckchen um die Ohren zu hängen. Ein Festtag aber war es, wenn er auf Märkten und Messen mit Juden zusammenstieß. Auf herzoglichem Gebiet zwar nahmen gewöhnlich, wenn auch widerstrebend, unter dem Einfluß des Süß die Polizeidiener die Juden in Schutz. Aber in den freien Städten konnte er die Hilflosen fest zwacken und ihnen alle sauren Possen spielen, die sein armes Hirn auszukochen imstande war.
    Nun hatten sie auf die Ostermesse in Eßlingen große Hoffnungen gesetzt. Dort aber war ein Jud Jecheskel Seligmann erschienen, früher Schutzjude der Grävenitz, jetzt mit Stillschweigen in Freudenthal, einem ehemaligen Grävenitzschen Besitz, geduldet. Der handelte mit Erzeugnissen derManufakturen Süß-Foa und machte, da er eine viel größere Auswahl hatte als der andere, dem primitiven Kram des Kaspar Dieterle unbesiegliche Konkurrenz. Jecheskel Seligmann Freudenthal war ein älterer, dürrer, krummer, häßlicher Mensch. Kaspar Dieterle fand tausend Gründe, ihn zu verspotten, er beschmierte ihm

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