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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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sich an seiner Rede, steigerte sich weiter. Er sah nicht oder befahl sich nicht zu sehen den Zwiespalt zwischen dem geraden, natürlich gewachsenen, durch seine Schlichtheit schönen Landmädchen und dem höfisch zeremoniösen, überfeinen Prunk an ihr. Nicht mehr sah er, daß mit dem unter der Perücke versteckten dunklen Haar ihr ein Wesentliches genommen war, daß der braunviolette Brokat das lebendige, atmende Mädchen zu einer Puppe weitete und schnürte, daß der schlanke Lauf ihrer Glieder, das unschuldige, unbeherrschte Feuer ihrer Augen, jetzt, artig gezügelt und eingeteilt, sie als gleiche unter die anderen herunterzog. Er wollte sie sehen, wie er sie brauchte, sich vor ihr zu spreizen, sein eigenes Denkmal auf ihrem Sockel zu postieren. Er sprach: »Wer gewachsen ist wie Sie, wer den Kopfwirft wie Sie, der ist nicht geboren, um Gott im Bibelkollegium von Hirsau fromme Lieder zu singen.« Er stand hinter seinem Stuhl, die Ellbogen auf der Lehne, beugte er sich vor zu ihr, sprach zu ihr, nicht laut, mit seiner dringlichen, eingängigen Stimme, die gewölbten Augen heiß auf ihr: »Haben Sie es nicht gespürt jetzt, was es heißt, Macht haben? Versuchen Sie es doch, kehren Sie doch zurück in Ihr Bibelkollegium! Trocknen Sie Birnen in Ihrer Freizeit, stricken Sie Strümpfe! Versuchen Sie es doch! Sie können es nicht mehr!« schloß er triumphierend. »Sie haben geschmeckt jetzt, was Ihre Bestimmung ist.«
    Sie war aufgestanden, atmend, in halber Abwehr die Hand gehoben. Das Hündchen hatte sich ängstlich in einen Winkel verkrochen. Sich sträubend, ungläubig, doch, nun er schwieg, gierig nach mehr, erregt stand sie ihm gegenüber in der anderen Ecke des kleinen mit Zierat überfüllten Gemachs, von dem sie in dem mächtigen Prunkgewand einen großen Teil einnahm. Schlank, geschmeidig, unhörbar auf dem weichen Teppich kam er ihr nach und nahe.
    »Lassen Sie doch Ihre naiven Träume hinter sich, Magdalen Sibylle! Die waren gut für den Wald von Hirsau. Jetzt ist das Schloß von Ludwigsburg Ihre Wirklichkeit. Schauen Sie sie an! Packen Sie sie fest! Es ist eine gute, schöne Wirklichkeit. Ich bin stolz, daß ich sie Ihnen wies.«
    Er war jetzt ganz nahe an ihr, daß sie sich wie flüchtend in die Ecke drücken mußte. »Magdalen Sibylle!« beteuerte er, und er glaubte es beinahe selbst, während er sprach; sie jedenfalls, das sah er, von Anfang an geneigt, sich überzeugen zu lassen, war bracher Acker für solche Saat. »Magdalen Sibylle! Ich habe Sie, weiß Gott, nicht darum dem Herzog überlassen, einen Stein mehr im Brett zu haben. Ihretwillen hab ich es getan. Sie auf den Weg zu bringen. Wir haben nämlich einen Weg, Magdalen Sibylle, Sie und ich: er heißt Macht.«
    Und während sie ihm, das letzte Mißtrauen in die fernsten Winkel gescheucht, zuschaute, ängstlich und bewunderndwie einem Seiltänzer, spielte er sich ihr vor. Seiner Mutter zu imponieren, die von Anfang an ihn glaubte, ah, das war leicht, das war keine Aufgabe. Aber diese hier, die Mißtrauische, sich Sträubende, zu sich herüberzuziehen, das lockte, das war, geglückt, Triumph, die ersehnte notwendige Bestätigung. Wie wohl auf erleuchteter Bühne ein großer Komödiant, gereizt durch ein kaltes, ungestimmtes Publikum, immer mehr von sich hergibt, gerade diese Widerspenstigen hinzureißen, so steigerte er sich immer höher, schwelgend an seinem eigenen Wesen, unvorsichtig geheime Wünsche preisgebend und Erkenntnisse und Urteile, die besser verschlossen geblieben wären. Auf und nieder ging er, sich berauschend an der eigenen Rede, immer glänzender den Spiegel reibend, in dem er sein Bild sah, ein eitler Schauspieler seiner selbst.
    Stumm, aufgewühlt, hörte sie, wie er sprach: »So, endlich, stehen wir gleich zu gleich, Magdalen Sibylle. Sie und ich, jeder die Hand am Hebel der Macht. Nicht dieser Herzog hat ein Recht auf Sie. Wer ist er denn, dieser Herzog?«
    Der erhitzte Mann redete sich in eine Geringschätzung hinein, die er sich selber sonst nie eingestand und vor deren Enthüllung später dem Ernüchterten bangte.
    »Dieser Herzog! Glaubt, ein Land mit dem Exerzierreglement regieren zu können. Hat keine Ahnung von den Zusammenhängen. Kein eigenes Aug, kein eigenes Gehirn, kaum ein eigenes Herz. Mißt den Genuß nach der Zahl der Weiber, nach der Zahl der Bouteillen. Hält das wüste Gegröl seines Remchingen für dionysische Lust. Es ist ein Zufall, es ist gutes Glück, daß er auf Sie gefallen ist. Er sieht ja nichts, er

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