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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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begreift ja nichts von Ihrem Reiz. Ich hab den Anspruch, ich! Ich hab Sie hingebracht, wo Sie jetzt stehen, ich hab Sie gesehen vom ersten Tag an, ich weiß um Sie. Ich bin hinaufgeklettert, selber, Jud und verachtet und gering, Griff um Griff, Schritt vor Schritt, daß ich jetzt vor diesen schwäbischen Tölpeln stehe wie meine Stute Assjadah vor ihren dicken Ackergäulen. Und so hab ich Sie höhergestellt als die anderen braven, wackeren, hausbackenen schwäbischen Fräuleins.So steh ich vor Ihnen, der Gleiche vor der Gleichen. So sag ich Ihnen meinen Anspruch und verlange Sie. Wären Sie unbewußt und dumpf in mein Bett geglitten, wie Sie aus dem Wald von Hirsau kamen, solcher Sieg wäre mir zu leicht gewesen und wie Betrug. Jetzt, erfahren, wissend, wer ich bin, wer Sie sind, sollen Sie sich entscheiden. Jetzt sollen Sie mir sagen: ich gehöre zu dir, ich komme.«
    In tiefer Verwirrung stand sie, schwieg sie. Doch er, klug seinen Eindruck nicht scheuchend, kehrte plötzlich aus seiner Erhitzung in kalten Konversationston zurück. Und eh daß sie wieder recht zu sich selbst kam, hatte er schon, sich neigend, ihr zeremoniös die Hand küssend, die Zerrissene, Verwirrte, allein gelassen.
    Leicht, heiter kehrte er mit seinem Gefolge in die Stadt zurück. Er hatte die Bestätigung, die er brauchte. Fühlte sich hoch und sicher über denen, die ihn gefährdeten. Ho! Soll es ihm doch einer nachtun, der plumpe Remchingen, der dicke Fürstbischof. Die anderen hatten die Geburt, er hatte die Frau vor ihnen voraus. Das andere war müheloser einzuholen. Er war der Stärkere.
    Und die Stute Assjadah fühlte ihn auf ihrem Rücken leichter, beschwingter jetzt, da er zurückritt, als da er kam. Es war eine Lust, ihn zu tragen, und sie wieherte hell seinen Ruhm in die Stadt.
    Der Eßlinger Kindermord erregte weithin im Reich das größte Aufsehen und Geschrei. Immer schauerlichere Einzelheiten wurden erzählt, wie der Jude dem Mädchen martervoll das Blut abgezapft und in seine Osterkuchen gebacken, um so Macht zu erringen über alle Christen, mit denen er zu tun habe. Alle die alten Historien wurden wieder lebendig, die Legende von dem heiligen Simon Martyr von Trier, dem Kind, so die Juden auf die gleiche Weise abgeschlachtet, und von dem Knaben Ludwig Etterlein in Ravensburg. Immer strahlender hob sich das Bild des toten Mädchens, was für eine süße, englische, kleine Jungfer sie gewesen.In den Schenken sangen die vagierenden Musikanten die Moritat, Zeitungen und fliegende Blätter erzählten sie in wilden Versen und blutrünstigen Holzschnitten.
    Schon regte es sich im Volk, sich tätlich an den Juden zu rächen. Rottete sich zusammen an den Toren des Ghettos, wer sich zu zeigen wagte, wurde mit Steinwurf, Kot und unflätigem Schimpfwort empfangen. Der Handel stockte, der christliche Schuldner trat mit Hohn vor den jüdischen Gläubiger, raufte ihm den Bart, bespie ihn. Die Gerichte zogen die Prozesse in die Länge, versagten. Im Bayrischen, in der Gegend von Rosenheim, an der großen Handelsstraße von Wien nach dem Westen, hatte ein Getreidewucherer, dem Juden das Geschäft gehindert, zusammen mit einem entlaufenen Schreiber eine Bande organisiert, den jüdischen Handelsleuten aufzulauern und ihre Transporte zu plündern. Die kurfürstliche Regierung schaute untätig und wohlgefällig zu. Erst scharfe schwäbische Reklamationen und energische Vorstellungen der Wiener Kanzlei machten dem Unfug ein Ende.
    Auch an den Höfen und in den Kabinetten verfolgte man den Eßlinger Handel mit größtem Interesse. Man sah, wie schwach und lückenhaft der Indizienbeweis aufgebaut war, man schmunzelte, auf welch primitive Manier die Reichsstadt dem württembergischen Herzog und seinem Finanzdirektor mit dem toten Kind zu Leibe wollte. Fand aber schadenfroh gerade diese Naivität sehr geschickt. Das Hauptstück des Beweises blieb die glückliche Spekulation auf den Volksglauben, daß in der Christnacht Geborene von den Juden besonders gefährdet seien und daß eben das ermordete Kind in der Heiligen Nacht geboren war.
    Doch gegen die Juden zog es herauf, schwere, atemschnürende, lehmfarbene Wolken. Geduckt in ihre Winkel krochen die Verängsteten, stierten auf das gestaltlos Nahende. Ai! Ai! Immer wenn einer von ihnen gepackt wurde um so tückisch dumme Beschuldigung, wurden gemetzelt Tausende, verbrannt, gehängt Tausende, hin und her gehetztüber die Erde Zehntausende. Vergraust hockten sie in ihren Winkeln, es legte sich um sie

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