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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Mark. Und wenn einer von den Seinen bedrängt ist, hält er die Hand über ihn, und Edom schleicht sich fort, den Schwanz gekniffen wie ein geprügelter Hund. Ist das nicht Kern und Sinn und Rückgrat für ein Leben?
    Aber Rabbi Gabriel schwieg, und wie er den Schweigenden sah, wurden auch seine fliegenden Worte immer lahmer, und schließlich fielen sie ganz zu Boden. Er verstummte und stand da wie ein Schuljunge, der sein Pensum schlecht gelernt hat und nicht zu Ende weiß, und seine Worte waren wie schlechte, übelriechende Schminke, rasch eintrocknend und abblätternd.
    Der Kabbalist erwiderte nicht auf die lange, feurige und empfindliche Rede des Süß. Er stand auf und sagte: »Bevor du dich dem Kind zeigst, fahr nach Frankfurt zu deiner Mutter.«
    Damit ging er. Süß blieb in dumpfer Wut. Nun hatte er das Opfer gebracht, nun hatte er sich die Tat abgerungen. Was noch wollte der Alte von ihm? Was noch sollte er tun? Warum schwieg er seine Tat an mit seinem hochmütigen und klein machenden Schweigen? Und was war das mit Frankfurt? Ei, gewiß wird er nach Frankfurt gehen, zu seiner Mutter. Die Frankfurter werden mehr Verstand haben für das, was er getan. Seine Mutter wird ihm andächtig zuhören. Und die Frankfurter Juden, der weise, kleine Rabbi Jaakob Josua Falk und der Vorsteher und alle, wie wird er sich tragen lassen von ihrem Raunen, Segnen, Rühmen und Bewundern. Schweigt Rabbi Gabriel, so werden zehntausend andere Münder so lauter reden und Zeugnis ablegen für ihn und seine Tat.
    In der Bibliothek des Professors Johann Daniel Harpprecht, über Akten und Urkunden, lächelte der Hausherr seinem Freunde, dem Geheimrat Bilfinger, mit verstehender und gütiger Abwehr zu. In das geräumige, solid möblierte Zimmer schrägte die Sonne eine Lichtsäule aus Myriaden Staubflöckchen.
    Die beiden gewichtigen Männer hatten ernsthaft die württembergischen Dinge durchgesprochen, insonderheit das umständlich und mit großem Eifer vorgetragene, von Weißensee verfaßte Anliegen des landschaftlichen Ausschusses, sich unter keinen Umständen in den Eßlinger Judenhandel zu mengen. »Sieht Er, Herr Bruder«, sagte Harpprecht und legte dem Freund die Hand auf die schwere Schulter, »es wäre mir auch wärmer ums Herz, könnte ich den Juden Jecheskel in der Patsche sitzenlassen und dem Süß eins auswischen; auch dem Weißensee gönnte ich den Triumph. Und wenn ich denk, was wir zahlen müssen als Kompensation für die Auslieferungdieses Stinkjuden und was für Emolumenta und wohlverdiente Ansprüche wir den konfiszierten Eßlinger Krämern dafür müssen in ihren gierigen Schlund schmeißen und wie wir dafür nichts anderes haben, als daß wir im ganzen Reich als Judenzer werden verlästert und verlacht werden, Herr Bruder, ich brauch Ihm nicht zu sagen, wie es mir gallenbitter hochsteigt, wenn ich das denk. Aber der Herzog hat von mir ein juristisches Judizium verlangt, kein politisches. Und wenn’s mich noch so fest verdrießt und wenn ich dem Juden noch so gern möchte alle Kompendien und Kommentare um seine insolente Fratze schlagen: zuständig ist der Jecheskel zu uns; und wenn es Recht und Gesetz gelten soll, dann zählen alle die kleinen Formalia nicht, die man mit Rabulisterei ins contrarium kann kommentieren. Als Jurist muß ich judizieren: der Jecheskel muß ausgeliefert werden an die herzoglichen Gerichte.«
    Bilfinger senkte den massigen Nacken. Gewußt hatte er das, gewußt hatten das alle; gewußt hatte es sicher auch der Herzog, und wie er ein Gutachten von Harpprecht gefordert hatte, war die Affäre eigentlich schon entschieden. Aber schön wäre es doch gewesen, wenn der Harpprecht anders judiziert hätte. Der Herzog hätte die Auslieferung wahrscheinlich doch verlangt, aber der Jud hätte einen derben Stoß gekriegt. »So steht er fest oben«, grollte er, »und lacht, wie wir uns müssen abzappeln, ihm den Gefallen zu tun.«
    Aber er machte weiter keinen Versuch; er wußte, der Jurist wird sich eher die Finger abhacken, eh daß er in ein Judizium ein Wort hineinsetzt, das Recht um Fadenbreite zu krümmen. Er verabschiedete sich von dem Freund, verdüstert und ohne Hoffnung, aber mit festem, gutem Händedruck.
    Allein geblieben, war Harpprecht nicht disponiert, sich sogleich wieder an die Arbeit zu setzen. Er schenkte sich das Glas neu voll, schaute in die schräge Lichtsäule aus tanzenden Stäubchen. Dachte. Er war gewohnt, die Dinge aus großer Höhe zu beschauen. Er reihte den Fall ein. Er sah

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