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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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über die Grenzen des Herzogtums hinaus. Er sah die Affäre deskleinen Handelsjuden als Welle im Fluß europäischen Werdens und Geschehens.
    Denn der kleine Hausierjude, gefoltert, willkürlich um Mord verklagt, und Süß, der allmächtige, umneidete Finanzdirektor, wichtiger Faktor in den Kalküls der europäischen Höfe, schaukelten auf einer Welle. Wie sonderbar das Los dieser beiden sich ineinanderschlang. Wäre Süß nicht hoch und in Glanz, hätten die Eßlinger den armen Teufel sicherlich laufen lassen. Wäre Süß nicht hoch und in Glanz, könnte er den armen Teufel nicht erlösen. Was band den Finanzdirektor an den Hausierjuden? Das gemeinsame Blut? Dummes Zeug! Der gemeinsame Glaube? Schwatz! Nichts war gemeinsam zwischen den beiden, nur eines: der Haß, der anbrandete gegen den großen Juden wie gegen den kleinen.
    Nachdenklich blätterte Harpprecht in den Chroniken und historischen Urkunden der Gabelkhover, Magnus Hessenthaler, Johann Ulrich Pregizer, in den Verordnungen, Reskripten, Landtagsabschieden, die vor ihm gestapelt lagen. Darin war verzeichnet, wie man es bisher mit den Juden im Land gehalten hatte, das war die Gesetzgebung der schwäbischen Herzöge und Stände, die Juden anlangend, war der schwäbischen Juden Geschichte und Recht.
    Seit Urzeiten saßen sie da. Immer wieder waren sie verklagt worden um Mord, Brunnenvergiftung, Hostienschändung und vor allem um ihren unleidlichen, volksverderblichen Wucher. Immer wieder hatte man sie totgeschlagen und ihre Forderungen null und nichtig erklärt, in Calw, in Weil der Stadt, in Bulach, Tübingen, Kirchheim, Horb, Nagold, Öhringen, Cannstatt, Stuttgart. Aber immer wieder hatte man sie zurückgerufen. Man solle allenthalb im Reich ihr Gut nehmen, stand da in einer kaiserlichen Urkunde, und dazu ihr Leben und sie töten, bis auf eine geringe Anzahl, so verschont bleiben solle, um ihr Gedächtnis zu erhalten. Ein andermal, in einem Gutachten des Konsistoriums, hieß es, nächst dem Teufel hätten die Christen keine größeren Feinde als die Juden. In einem Vertrag zwischen dem deutschen König unddem Grafen Ulrich dem Vielgeliebten waren Maßregeln getroffen wegen der vielfältigen Klagen über die Jüdischheit, die nach ihrer gewöhnlichen Härtigkeit geistliche und weltliche Reichsuntertanen durch ihren Wucher unziemlich und unleidentlich beschwere und sich auch in anderweg so grob und unordentlich halte, daß dadurch Uneinigkeit, Krieg und Mißhelligkeit entstehe. Und im Testament des Grafen Eberhard im Bart wurden die Juden gescholten als Gott dem Allmächtigen, der Natur und der christlichen Ordnung gehässig, verschmäht und widerwärtig, als nagende Würmer, dem gemeinen armen Mann und Untertanen verderblich und unleidentlich, und sie wurden Gott dem Allmächtigen zu Ehren und des gemeinen Nutzens wegen hart und scharf des Landes verwiesen.
    Warum aber, wenn man so urteilte, ließ man oder rief man gar sie immer wieder ins Herzogtum? Warum schützten sie Eberhard der Greiner, Graf Ulrich? Warum, wenn Eberhard im Bart, die Herzöge Ulrich, Christoph, Ludwig sie austrieben, riefen sie Friedrich der Erste, Eberhard Ludwig wieder ins Land? Es war zu billig, sie ein vermaledeites, von Gott verworfenes Volk zu nennen. Warum konnte man nicht gleichgültig vor ihnen bleiben wie vor anderen Fremden, den eingewanderten französischen Emigranten etwa? Warum stießen sie ab oder zogen an oder waren gar widerlich und reizvoll in einem ?
    Johann Daniel Harpprecht hob den Kopf von den Papieren. In den tanzenden Stäubchen der schrägen Sonnensäule formte sich ihm das Bild des Herzogs und das Bild des Juden, eines im anderen, eines ins andere rätselhaft übergleitend. Beide waren ein Unglück. Gegen den Herzog gab es ein Bollwerk: die Verfassung; aber es war löcherig und frommte nicht. Gegen die Juden gab es Gesetze, Reskripte; aber sie nützten nichts. Die nagenden Würmer, so stand in den Gutachten, Verboten. Das Land verkam, Armut, Elend, Verbitterung, Verlotterung, Verzweiflung riß ein. Die nagenden Würmer saßen im Land, fraßen in seinem Mark. Nagten, wurdenfett. Obenauf, sich ineinanderringelnd, der Herzog und der Jud, sich spreizend in frecher, gemästeter Nacktheit, schillernd, üppig.
    Dem festen, geraden, sachlichen Mann knäuelten sich die Gedanken. Hier war so schwer fester Boden zu gewinnen; diese Juden und alles, was mit ihnen zusammenhing, waren beunruhigend und voller Rätsel. Sie austreiben nützte nichts, man rief sie doch immer

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