Jud Sueß
habe.
Um so fetter mästete er in Frankfurt seine Eitelkeit. Ei, wie drängten sich in den Gassen des Ghettos die Juden, ihn zu sehen, gurgelten Bewunderung, flehten allen Segen Gottes auf ihn herab, hoben ihre Kinder hoch, daß sie mit ihren fremdartigen, schönen, länglichen Augen sein seliges und beglückendes Bild einfingen. Wie über einen Teppich schritt er über hemmungslose Bewunderung und gute Wünsche. Ei, was für einen Retter und großen Frommen hat da der Herr, gelobt sein Name, Israel in seiner großen Not geschickt. Und in der Synagoge stand er, wurde aufgerufen zur Vorlesung der Schrift, und während das Gesumme, das den menschenvollen Raum immer füllte, so stumm ward, daß das ergriffene Schweigen der aus wildester Furcht Erlösten die Mauern fast sprengte, ließ mit seiner zittrigen Stimme der welke Rabbiner die schönen, milden, alten Segnungen wie aus edler Schale laues, wohlriechendes Wasser auf ihn niederrieseln.
Nur eine breitete ihre Bewunderung nicht so weich und willig vor ihn hin, wie er erwartet hatte: seine Mutter. Sie, sonst seine demütigste, seligste Anhängerin, schien dieses Mal eng, ängstlich, gehemmt. Wohl fand sie immer neu Lobund Preis, wie groß und herrlich und schlank und reich und edelmütig und elegant und gescheit und tief und mächtig er sei, wie begabt er sei an allen Gütern der Welt, an Geld und Gemüt und Schönheit der Gestalt und Edelsinn und Frauen. Aber sie ging nicht so auf in ihm wie sonst. Die törichten, großen Augen in dem schönen, weißen Gesicht wurden plötzlich wie in tiefster Angst erschreckt von ihm weggerissen; ihre Hände, die an ihrem gescheiten, eleganten, mächtigen Sohn herumstreichelten, hielten unvermittelt, ohne Anlaß, inne. Die schöne, heitere, gern plappernde, leichtlebige alte Dame hatte gegen ihre Art etwas Fahriges, Nervös-Verschrecktes, Gepreßtes.
Während sie so in dumpfer Luft unfrei zusammensaßen, trat Rabbi Gabriel in ihr Gespräch. Michaele fuhr mit einem kleinen Schrei hoch, hob wie flehend und in leichter Abwehr die Hände.
»Hast du sie ihm gegeben?« fragte der Kabbalist. Michaele, fahl, die Augen weit auf, trat einen Schritt hinter sich. »Gib sie ihm jetzt!« sagte der Rabbi, ohne die Stimme zu heben, doch so, daß Widerstand starb. Michaele, mit schlaffen Gliedern, gepreßt wimmernd, ging.
»Was soll das!« fragte betreten und unmutig Süß. »Warum quält Ihr sie? Was wollt Ihr von ihr?«
»Du hast mir gesagt«, erwiderte der Rabbi, »was du vor das Kind hinstellen willst als Sinn und Rechtfertigung. Ich nehme deine Rechtfertigung in die Hand und zeige sie dir, wie sie wirklich ist.«
Schleppend, wie gezogen, kam Michaele zurück. Brachte einen Pack Schriften, Briefe, wie es schien. Legte sie scheu vor den Erstaunten. »Muß ich bleiben?« fragte sie mühsam, und ihre Stimme war ganz klein und voll Furcht. »Geh nur!« sagte, fast gütig, der Rabbi.
Zögernd griff, nachdem sie eilig sich entfernt, Süß nach den Schriften, hielt sie in der Hand, unentschlossen, begann endlich zu lesen. Galante Briefe, leicht altmodisch, gleichgültiges Zeug. Er wunderte sich, verstand nicht. Was soll das?Sah schließlich Zusammenhänge, kombinierte rasch weiter, sah getroffen wie nach einer jähen, schlaghaften Erhellung von den Papieren auf, sah nach dem Rabbi. Der war nicht da, er war allein im Zimmer.
Auf sprang er, schritt, schleifte sich hin und her. Die Augen hell, wieder dunkel, wieder hell. Gehetzte Wolken, wieder Sonne, wieder Nacht überm Gesicht. Flatternde, ungereimte Armbewegungen, die Füße taumelig, wie trunken. Gelall, Wortfetzen, dann, während der ganze Körper sich straffte, ein klarer Satz. Und schon wieder zusammengefallen, schlaff, stammelnd, zerschlagen alle Gliedmaßen. Der beherrschte Mann wie ein Komödiant, der eine Rolle lernt, die ihn zu allen Sternen hochtreibt, in alle Schlünde hinunterstürzt. Bis er wie ein Sack zusammenfällt, sitzend, alle Arbeit tief innen wühlend, Gesicht und Glieder reglos. Eine lange, ewige Weile wie tot.
So also griff das ineinander. So waren auf einmal alle diese schattenden, düsteren Winkel hell. Man hatte ihn ja, der verfluchte, hexenmeisterische Rabbi und die Mutter, gemein, niederträchtig, infam betrogen, daß man ihm das so lange gehehlt und verheimlicht hatte. Es war ein arger Possen und echt jüdischer, tückischer Schelmenstreich, ihn so lange an diese schlechte, niedrige, gemeine, lächerliche und verachtete Gemeinschaft zu binden. Er hatte sich
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