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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Aber Süß wartete den zögernden, hilflos verwirrten Weißensee nicht erst ab, er eilte sogleich weiter in den Wald. Der Karrenweg. Der Holzzaun. Die hohen Bäume. Die Blumenterrassen. Das weiße Haus. Kein Diener. Kein Herzog. Kein Rabbi. Wie gezogen, ohne kleinste Irrung, ohne Überlegen, Verweilen, geraden Weges schritt er in das große Studierzimmer. Die verhängten Fenster. Die großen Kerzen. Die Tote, Arme zur Brust, Zeige-, Mittel-, Goldfinger im Zeichen des Schin. Süß fiel um. Lag viele Stunden ohne Besinnung.
    Der Rabbi stand vor ihm, als er die Augen aufschlug. Der Rabbi sah einen verfallenen, ergreisten Mann. Den schmiegsamen, elastischen Rücken krumm und schlaff, die glatten weißen Wangen hohl und unsauber, farblos häßlich das brauneHaar. Der Rabbi hatte die Tote balsamiert, jetzt ging er ab und zu, zündete die Kerzen neu, goß dämonenscheuchendes Wasser.
    Nach einem langen, ewigen Schweigen fragte Süß: »Ist sie um den Herzog gestorben?«
    »Sie ist um dich gestorben«, sagte Rabbi Gabriel.
    »Wenn ich fortgegangen wäre mit ihr«, fragte Süß, »längst, weit fort, in die Stille, wäre sie dann nicht gestorben?«
    »Sie ist um dich gestorben«, sagte Rabbi Gabriel.
    »Kann man mit Toten reden?« fragte Süß.
    Rabbi Gabriel zitterte. Dann sagte er: »Es steht im Buch von den Heeren der Toten: Denkt eines Verstorbenen nur recht, und er ist da. Ihr könnt ihn innerlich beschwören, er muß kommen; ihn halten, er muß bleiben. Denkt seiner mit Liebe oder mit Haß, er spürt es. Mit stärkerer Liebe, stärkerem Haß, er spürt es stärker. An jedem Fest, das ihr dem Toten gebt, steigt er herauf, um jedes Bild, das ihr ihm weiht, schwebt er, hört jedem Worte zu, das von ihm klingt.«
    »Kann ich mit ihr reden?« fragte Süß.
    Da zitterte Rabbi Gabriel stärker. Dann sagte er: »Sei rein, und sie wird in Ruhe sein. Wenn du einströmst in die dritte Welt, mit dir wird auch sie in das Meer der dritten Welt tauchen.«
    Da schwieg Süß. Er aß nicht, er trank nicht. Nacht fiel ein, Tag graute herauf, er rührte sich nicht.
    Der Rabbi sagte: »Der Herzog will dich sprechen.« Süß antwortete nicht. Karl Alexander trat ein. Fuhr zurück. Fast hätte er den Mann nicht erkannt. Dieser Mensch mit den schwärzlichen, schmutzigen Stoppeln um den Mund und die Wangen hinauf, mit dem häßlich farblosen Haar, den eingesunkenen, rötlichen, stieren, triefenden Augen: war das Süß, sein Jud und Finanzdirektor, der große Kavalier, der lüsterne Traum der Frauen?
    Mit rauher, heiserer Stimme, sich räuspernd und mehrmals ansetzend, sagte Karl Alexander: »Sei Er ein Mann, Süß! Verbohr Er sich nicht in Seinen Schmerz. Ich hab das Mädel gesehen,ich weiß, wie sie war. Ich spür es sehr gut, was Er da verliert. Aber denk Er, Er hat noch sehr viel anderes im Leben. Er hat die Gunst, Er hat die Liebe Seines Herzogs. Dies mag Ihm Trost sein.«
    Mit einer stillen, gleichförmigen, merkwürdig gefrorenen Demut erwiderte der verwahrloste, häßliche Mann: »Ja, Herr Herzog.«
    Karl Alexander wurde es unbehaglich bei diesem stillen Ja. Es wäre ihm lieber gewesen, Süß hätte seine Kränkung gezeigt und er, der Herzog, hätte ein weniges schreien und dann wieder gut sein können. Dieses mönchische Gewese paßte ihm gar nicht. Wie hatte Schütz gesagt: es roch nach Judenschul und Kirchhof. Ein vages Erinnern wellte hoch an die knarrende Stimme des Magus, an das, was er verschwieg. Er wollte glatten Tisch haben, er wird jetzt einfach mit der Katze durch den Bach fahren. Mit einer gewissen gutmütigen, grobschlächtigen Ehrlichkeit sagte er: »Es ist dumm, daß das arriviert ist, just wie ich da war. Was es eigentlich für ein Akzident war, weiß kein Mensch und wird kein Jud und kein Christ und kein Magus herauskitzeln können. Ich hab sie gefunden, da lag sie in den Blumen und war tot. Er wird natürlich supponieren, ich sei schuld daran. Aber ich vermein, da ist Er auf dem Holzweg.«
    Da Süß schwieg, fügte er hinzu: »Es ist mir in der Seele leid, Jud, wahr und wahrhaftig. Er darf mich nicht für einen Débaucheur halten, der coûte que coûte seinen Willen haben muß. Natürlich hab ich ihr ein bißle meinen Hof gemacht. Aber wenn ich das hätte voraussehen können, ich hätte mich getrollt. Nicht keinen Handkuß hätte ich verlangt. Parole d’honneur! Wer hätte auch denken können, daß das Mädel so wenig Spaß versteht.«
    Mit der gleichen stillen, gefrorenen Demut sagte Süß: »Ja, Durchlaucht, wer

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