Jud Sueß
sie dort als der schwarze Wolkenfetzen und lachte ihn aus? Verfluchtes, kleines Mensch! Er stand enttäuscht und grimmig, starker Wind ging, riß ihm den Rock zurück, die schweißklebenden Haare. Alter Esel, der er war! Hätte er doch unten den Judenbalg genommen, den zimpferlichen, über den Tisch ihn geworfen, nicht achtend das Gezier und Getue. Wozu, in Teufels Namen, war er der Herr? Jetzt kam er um seine Nacht, und die in Hirsau hatten recht, wenn sie ihn auslachten.
Verdrießlich tappte er sich die Treppe wieder hinunter. Der Fuß schmerzte ihn, und er war hundsmüde. Mühsam und umständlich durchs Fenster stieg er aus dem Haus. Da hörte er flüsternd, furchtsam und erregt heiser die Stimme des Kammerdieners: »In den Blumen liegt sie!« Er dachte, sie habe sich dort versteckt, lachte: »Der Racker!«, hastete stolpernd durch das unsichere Dämmerlicht der Nacht in der Richtung, die Neuffer gewiesen.
Ja, da lag sie zwischen den Blumen. Die Blumen schwankten heftig im Wind hin und her, schüttelten tausend Arme, sie aber lag ganz reglos. Er rief sie schäkernd an: »Racker! Wie bist du bloß herausgekommen?« Da sie nicht antwortete, griff er sie sacht beim Arm, bog ihr den Kopf zurück, tastete hastig, erschreckt sie ab. Erkannte, daß sie tot war. Begriff nicht.
Fetziges Gewölk jagte. Starkfarbig krümmte sich, wenig Licht gebend, der junge Mond. Der Diener stand abseits, scheu. Der Herzog von Württemberg aber kniete an der Leiche der jungen Jüdin, im Föhn, zwischen den Blumen, in dumpfem, ratlosem Unbehagen, ein armer, kleiner Mensch in Wind und Nacht.
Was eigentlich war geschehen? War sie ins Leere getreten? War es Absicht? Auf irgendeine Art war er mit dieser Toten verknüpft, war er Ursach dieses Todes.
Bah! Er hatte geschäkert ein weniges. Wer konnte ahnen, daß die Jungfer so zimpferlich war. Er hatte andere solchen Alters ganz anders angepackt; und was für welche! Töchterersten schwäbischen Adels! Da brauchte die Jüdin sich nicht so zu haben und zu zieren. Es kam vor, daß Kinder, gab man ihnen nur ein böses Wort, ins Wasser gingen, sich was antaten. Das kam vor. Die waren eben verrückt, die gehörten nicht ins Leben. Da war der, so vielleicht Ursach war, ohne Schuld.
Dennoch konnte er das klemmende, pressende Unbehagen nicht loswerden. Der Jud hatte sie versteckt, so tief und heimlich versteckt, und nun lag sie doch und war starr und steif, und der Jud hat sie mit aller Schläue nicht wahren können. Das blies einen an, wer weiß woher, und man war ausgelöscht. Absonderlich war das und sehr verwickelt. Da war sie vorhin noch im Licht gesessen, und ihre Augen hatten gebrannt von Leben, und jetzt lag sie da in der Nacht, und kein warmer Wind half ihr vorm Erkalten.
Der Wald lag schwärzlich, feindselig und voll Geheimnis. Stimmen kamen aus ihm, verwirrend, höhnisch. Den Mann im Föhn überschauerte es. Kindheitsmärchen nebelten herauf, bliesen ihn an, Vorstellungen von einem Zauberwald, gefüllt mit verdammten Geistern, es zerrte ihn im Nacken, an den Haaren, lange, gespenstische Arme streckten sich. Und plötzlich wieder schritt er in jenem stummen, schattenhaften Tanz; der Magus vor ihm hielt seine rechte Hand, Süß hinter ihm die linke. Tanzte da nicht auch nickend, sich neigend das Mädchen mit im Reigen? Und er hörte die knarrende, mißlaunige Stimme des Magus. Er hörte deutlich jeden Laut, strengte sich an, zu verstehen; aber er verstand nicht. Dies quälte ihn. Und alles war so trüb, nebelhaft, farblos.
Mit einem knurrenden, bösen Laut riß er sich los aus der Gebundenheit. Er war hundsmüde, er wird jetzt schlafen. Da lag eine Tote im Wind. Je nun, er hat schon viele Tote gesehen. Wenn er eine Attacke befahl und dann lagen die Toten herum, war schließlich auch er die Ursach. Das war Unsinn und überhirnisch, darüber lange zu meditieren. Was hing er mehr Gedanken an die tote Jüdin als an tausend brave christliche Offiziere und Soldaten, die rings um ihn, durch ihngestorben waren? Dafür war er der Herzog. Das hatte Gott so eingerichtet, daß, wo er hintrat, Leben blühte oder Tod einfiel.
Er wird also jetzt schlafen gehen. Und das Mädchen? Sie so liegenlassen? Ihr schadet freilich kein Wind und kein Regen mehr. Wenn er jetzt geht, dann ist die Affäre aus, fertig, finito. Die Domestiken werden morgen das Mädchen finden, den Süß benachrichtigen. Der wird sich zergrübeln, warum sie eigentlich und wieso tot ist. Aber vermutlich wird er weiter keinen Schnaufer
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