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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Haus, er sah nicht, wie festlich und heiter die Blumen in dem hellen Tag standen, er sprach nicht mit dem Neuffer, der ihm ängstlich und nach einem Menschenwort gierig folgte, er ging eilends, ging durch den Wald, und bis er an den Karrenweg kam, wo der Wagen wartete, sprach er kein Wort.
    Noch in der Nacht, ohne daß man ihn benachrichtigt, war Rabbi Gabriel gekommen. Er schien nicht groß erstaunt, die sehr dichten Brauen zogen sich zusammen, die drei senkrechten Falten zackten noch tiefer in die breite, nicht hohe Stirn. Den Segensspruch sprach er, der zu sprechen war beim Anblick eines Toten: »Gerühmt seist du, Jahve, Gott, gerechter Richter.« Er bettete das Mädchen, zur Brust faltete er ihr die starren Arme, richtete der Toten Zeige-, Mittel- und Goldfinger so, daß sie das Schin bildeten, den Anfangsbuchstaben des allerheiligsten Namens: Schaddai. Er verhängte die Fenster, entzündete Kerzen, verhängte das Bild des himmlischen Menschen. Wasser goß er hinter sich, da er das Totenzimmer betrat, Wasser zu Häupten, Wasser zu Füßen des Mädchens. Denn es scheucht das Wasser die Dämonen, die der Tod anlockt. Nur Samael, der Linke, der Engel des Todes, läßt sichnicht vertreiben. So blieb der Rabbi allein mit der Toten und mit Samael, dem Linken.
    Zwischen die Knie senkte er den Kopf, in die Erde hinein sprach er die drei Hymnen, der großen Heiligung, der Entzückung in den dritten Himmel, der Heere der Toten. Da war die Seele des Mädchens da, und der Linke konnte sie nicht verbergen. Ach, Rabbi Gabriel hatte gewußt, sie war noch da, sie wird nicht auf geradem Fluge eingehen in die Obere Welt; noch wartete ein Werk auf sie in der Untern Welt, und darum auch hatte das Kind gerufen. Er aber konnte sie nicht erreichen, und so war sie gestorben, eh daß er gekommen war.
    Ein kleines, verlorenes Bündel, hockte der dickliche Mann in dem Raum, der ganz erfüllt war von Samael, dem Linken, und der flatternden, verschüchterten Seele des Kindes. Und er sprach zu ihr mit seiner knarrenden, mißtönigen Stimme; doch er konnte ihr nichts sagen, sie war ja schon über der Schwelle der dritten Welt, und sosehr sie es wollte, er konnte sie nicht halten.
    Und da er spürte, wie es sie weitertrieb und wie der Linke sie überdeckte, rief er der Entgleitenden nach mit jenen Worten der Schrift, die sie am liebsten liebte: »Wie warst du mir süß, Naemi, meine Tochter! Liebe! Liebliche! Lilie des Tals! Rose von Saaron!«
    Da spürte er ein letztes flatterndes Grüßen. Aber Samael war stärker als er und trieb sie weiter. Da fiel er auf sein Angesicht, nie war er so schwer und erdig gewesen wie jetzt, und er lag viele Stunden in grauenvoller Schwäche. Und die Kerzen brannten, und die Tote hatte die Finger gestreckt im Zeichen des Schin; aber kein Zeichen half, niemand war im Raum, und er blieb allein und hilflos und stumpf und in herzschnürender Not mit Samael, dem Linken.
    Mit halben Worten deutete der Herzog dem Weißensee an, was geschehen war. Der Reitende an Süß war längst unterwegs. Karl Alexander, während er den Juden erwartete, entfaltete eine lärmende Heiterkeit, aß mächtig, trank, zotete, jagte.
    Weißensee hörte nur, daß das Kind tot war. Es gelang ihm, im Angesicht des Herzogs höflich und gefaßt zu bleiben. Allein, zersplitterte er wie Glas. Der Jud war ihm über. Wieder hatte der Jud gesiegt. Das Kind war tot. Es war nicht beschmutzt, besudelt, zerknickt, es war einfach tot; entschwebt, rein, aus Höhen geisterhaft und lieblich lächelnd. Der Jud war kein komischer, zerknitterter, schmieriger Kuppler wie er, der Jud war tragisch fast und ein Märtyrer, sein Kleinod war nicht getrübt und verschlammt; wie ein anderer mit kotiger Hand danach greifen wollte, hat es sich aufgelöst in die reine Gottesluft. Jetzt hat es keinen Sinn mehr, neugierig zu sein, jetzt kitzelte es ihn durchaus nicht mehr, das Gesicht des Juden zu sehen. Schlaff saß er, ausgehöhlt, zerkrümmt im Lehnstuhl, lallte ziemlich sinnlos und immer wieder vor sich hin: »Nenikekas, Judaie! Nenikekas, Judaie!«
    Unterdes jagte Süß nach Hirsau. Als er die Meldung erhielt, der Herzog sei in Hirsau, er solle sogleich und ohne eine Minute Verzug hinkommen, war ihm der Gaumen kalt geworden vor Schreck. Gewißheit war ihm, daß dem Kind etwas drohte, vielleicht schon geschehen war. Doch in Hirsau, im Hause des Weißensee, hieß es, der Herzog sei ausgefahren, er sei wohl im Wald, ob er den Herrn Konsistorialpräsidenten sprechen wolle.

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