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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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grünen, reinen Gedanken neuen, besseren Staatsgefüges, einer gerechteren, humaneren Ordnung drängten ihn mit Schuß und Saft und Überschuß, sprengten dem jungen, glühenden Menschen fast die Brust.
    Er wohnte bei Harpprecht. Der alternde Herr, dem die Frau nach einer Ehe von wenigen Monaten in sehr jungen Jahren gestorben war, hatte den Neffen großgezogen, er hatte ihn die zwei Jahre im Ausland bitter vermißt, er warf jetzt alle seine wortarme, herbe Liebe auf den Jüngling.
    Michael Koppenhöfer war durch seine Reise doppelt stolz geworden auf die vor den anderen deutschen Staatsverträgen freiheitliche Verfassung seiner Heimat. Wohl hatte er immer gewußt um die militärische Autokratie des Herzogs, die jesuitische des Würzburgers, die ökonomische des Juden. Aber ein anderes war es, in Briefen und Broschüren davon zu lesen, ein anderes, mitteninne zu stehen, die freche Unterdrückung, dienackte, höhnende Gewalt mit Augen zu schauen, mit Händen zu greifen. Der junge Mensch sah den Stellen- und Ämterhandel, den Schacher mit der Gerechtigkeit, die Ausquetschung des Volkes. Verlumpt und ausgehaust die Schertlins von Urach, außer Landes getrieben sein junger, vor allen anderen begabter Vetter und Freund Friedrich Christoph Koppenhöfer, in Verzweiflung und Tod gejagt der Hauptzoller Wolff, der Kammerdirektor Georgii. Ausgelaugt und zerfressen das reiche, schöne, gesegnete Land, zu den Fahnen gepreßt Tausende, in Lumpen und Hunger Zehntausende, zerlottert an Leib und Gewissen Hunderttausende. In Völlerei und Unzucht sich blähend ein schrankenloser Hof, in bunten Uniformen frech sich spreizend die Gewalt, höhnische Rabulisterei über die klare, edle Verfassung giftig triumphierend. Zerwuchert die Verwaltung, zerhurt die Justiz, die Freiheit, die liebe, gepriesene Freiheit ein Spott und Lumpen, mit dem der Herzog, der Jesuit und der Jud sich den Hintern wischen.
    Eine heilige, fressende Empörung füllte den Jüngling an, füllte ihn ganz, spannte männlicher sein kühnes, braunes Gesicht, entzündete dringlicher die starke Bläue seiner Augen. Oh, seine schlanke, junge Beredsamkeit! Oh, sein adliges Zürnen und Sichbäumen! Der zehrende Gram über die Fäulnis der Heimat hatte den alten Johann Daniel Harpprecht doch arg geschüttelt und zerhöhlt. Jetzt hing der feste, gerade Mann seine ganze Hoffnung an den Jungen, und die trockenen Abende des Einsamen wurden grün und blühend durch seine frische, ranke Gegenwart.
    Dem Süß war der Aktuarius immer unsympathisch gewesen. Ihn hatte der hohe Wuchs des jungen Menschen, seine straffe, eckige Stattlichkeit, an der gleichwohl nichts Tölpisches, Bäurisches war, von je geärgert. Auch die offensichtliche Ehrlichkeit der politischen Überzeugung hatte ihn verstimmt. Hinter politischer Opposition stak gemeinhin der eigene Vorteil; wenn der nicht, dann mangelnde Begabung. Daß der Junge sich zur Demokratie seines berühmten Oheims bekannte, wäre nicht weiter verwunderlich gewesen; aber daß derBewegliche, mit allen guten, dem Aufstieg förderlichen Gaben Bedachte durch so wildes Feuer gegen die herrschende Richtung seine Karriere gefährdete, war Beweis, daß immer noch politische Überzeugung an sich im Lande war, und als solcher verstimmend. Immerhin hatte Süß in der Praxis das junge Ungestüm des Aktuarius Michael Koppenhöfer so wenig gefürchtet wie das routinierte Pathos des Publizisten Moser, er hatte, vor dem Schlag in Hirsau, den wie jenen unbehelligt gelassen, und der Beamte mit der rebellantischen Gesinnung war nicht durch die leiseste Rüge geahndet worden.
    Jetzt, nach Hirsau, entzündete sich finsterer das Feuer des vergifteten Mannes an der ungebrochenen freiheitlichen und guten Kühnheit des Jünglings. Den dunklen Blick richtete er auf ihn, duckte spielerisch bösartig zum Sprung. Bei der Unvorsichtigkeit des jungen Menschen fand sich sehr bald ein Grund, ihn scharf und strafweise zu verwarnen.
    Der alte Johann Daniel Harpprecht hatte solche Konflikte längst vorausgesehen; doch er brachte es nicht über sich, das schöne Glühen Michaels zu dämpfen. Es war das gute Recht der Jugend, unklug zu sein, sich auf Verbogenes zu stürzen, um es gerade zu machen, auch wenn der Arm daran erlahmen mußte. Aber es schnürte ihm die Brust, preßte ihm den Atem, stieg ihm bitter die Kehle herauf, wenn er dachte, daß er seine müden Abende wieder allein sein sollte, ohne den wärmenden Schein des Jünglings. Immerhin hoffte er, sein, des Harpprecht,

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