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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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zerbröckelndes Gesicht war wild übersonnt vom Haß. In der Menge stand, schön und fremd, die Frau des Johann Ulrich Schertlin, die Französin, die Waldenserin. Sie war ärmlich gekleidet, ihr Mann war nun ganz verkommen, versoffen und ausgehaust, aber sie trug den Kopf mit dem kurzen, roten Mund so hoch wie immer. Aus den länglichen Augen warf sie hochmütige Blicke auf das gelle, kreischende Volk, das die Puppen verbrannte und den Rücken krumm machte vor dem Urbild; ihre Nachbarin richtete das Wort an sie; sie schaute fremd, verächtlich an ihr hinunter, sagte nichts, verließ langsam den Platz, mit gefeilten, kostbaren, hoffärtigen Schritten.
    In der großen, nüchternen, kahlen Stube der Beata Sturmin saßen um die blinde Heilige Magdalen Sibylle, Johann Konrad Rieger, der Prediger, sein Bruder Immanuel, der Expeditionsrat, der Magister Schober. Magdalen Sibylle trug ein hechtgraues Kleid, sehr kostbar von Stoff und sehr schlicht von Ausführung und Schnitt. Sie war behäbiger geworden,die starkblauen Augen stumpfer, die bräunlichen Wangen schlaffer, alle Glieder träger. Leicht fett und zufrieden fast saß sie, eine Bürgersfrau, und hörte aufmerksam dem Stiftsdekan zu, der von seiner Predigt erzählte, von ihrer starken, gottgefälligen Wirkung, und Partien daraus wiederholte, jetzt noch hallender, geübter.
    Bescheiden in seiner Ecke saß Jaakob Polykarp Schober. Der arme, gehetzte Mensch, leidend an seiner zwielichtigen Stellung bei Süß, an dem Hin und Her seines Gewissens, wollte hier ein wenig Ruhe finden vor der Unrast der eigenen Brust. Er hatte ein Gedicht gemacht, in dem er sich mit dem toten Gemahl Johannas der Wahnsinnigen verglich. Den schleppte die Fürstin im Sarg durch alles Land, an Stelle des Herzens hatte sie eine tickende Uhr setzen lassen, das Leben vorzutäuschen. So tickte ihm immerfort das Gewissen; nur hier bei den stillen, frommen Brüdern und Schwestern fand er ein wenig Ruhe. Er schaute aus seiner Ecke auf den Prediger, der auf und ab schritt, deklamierend, ausgefüllt, er schaute von ihm auf die blinde Heilige, die sanft, grau, farblos hockte und hörte, er schaute von ihr auf den Expeditionsrat Immanuel, der ehrfurchtsvoll an den Lippen seines großen und bedeutenden Bruders hing. Er sah aber auch aus seiner Ecke, wie bei aller Verehrung das Aug des hageren, bescheidenen, trotz des auffallenden Schnurrbarts unscheinbaren Mannes langsam von dem Bruder abließ, hinüber zu Magdalen Sibylle glitt, tierhaft ergeben auf ihr verweilte, die behäbig, fast matronenhaft dasaß, die großen, etwas fetten und doch kindlichen Hände lässig in dem mächtigen Schoß des weiten, hechtsilbernen Kleides. Er sah diesen demütig begehrenden Blick, er deutete diesen Blick, und langsam sah er einen Weg, seine Gewissensqual durch eine schwere, gottgefällige Tat ein weniges sanfter zu machen. Hatte er nicht durch seine ehrbare und submisse Verehrung der Demoiselle während der langen Hirsauer Jahre ein sicheres Anrecht auf sie? Aber er wird sich bescheiden, er wird, so schwer ihm das fällt, seinen Wünschen keine Statt mehr geben, er wird resignieren unddem Herrn und Bruder Immanuel Rieger den Weg ganz und gar frei lassen.
    Unterdes hatte der Stiftsdekan seine Predigt und Erzählung geendet, und nun ereignete sich etwas Seltsames. Magdalen Sibylle sagte nämlich, und dies mit großer Selbstverständlichkeit, ohne Hemmung und Ziererei, sie habe, angeregt durch das Exempel des lieben Bruders Jaakob Polykarp Schober, auch ihrerseits Verse gemacht. Und jetzt werde sie den Brüdern und der frommen Schwester ihre Carmina vorlesen. Was sie dann las, waren unbeschwingte, triste, banale, kahl und schal moralisierende Reimereien. Die Hörer aber merkten nichts von der Öde dieser Poemata, sie ließen sich schlicht und ehrlich packen, und dem Expeditionsrat Immanuel Rieger liefen vor Weichmut und Verehrung die Tränen über den Schnurrbart.
    Als sie dann gingen, schloß sich der Magister dem Expeditionsrat an. Der schwärmte in seiner nüchternen, hilflosen Art von Magdalen Sibylle. Da raffte sich Schober zusammen, schluckte und teilte, sehr gerührt, dem andern Entschluß und Verzicht mit. Die blassen Augen des Expeditionsrats feuchteten sich, mit seiner dünnen, von Bewegtheit fast gelähmten Stimme fragte er den Freund, ob er denn glaube, daß da irgendeine Möglichkeit sei; wenn er die Augen zu ihr aufhebt, wird sich diese große, erhabene, illustre Frau nicht erstaunt und mit befremdeter

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