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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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mißlang; aber trotzdem: welcher Stoff war zu schlecht? Das Land? Oder – wagte er es, wagte er es wirklich, der Jud? – oder er, der Fürst? Natürlich wagte er es! Hinter seiner höflichen, servilen Fratze stak höhnisch, hänselnd der freche, achselzuckende, aufreizende Zweifel. Über den schamlos dreisten Rebellanten! Der war hundertmal schlimmer als die stiernackig blöden Meuterer vom Parlament! Das waren verbohrte Esel! Aber dieser Lächelnde, Höfliche war wissend, und seine feixenden, unverschämten Zweifel gingen vergiftend ins Innerste. Weg mußte er! Ins Nichts mußte er! Für ewig ins Dunkel mußte er!
    »Haben Euer Durchlaucht jetzt das Losungswort bestimmt?« fragte die unbewegte, sachliche Stimme des Juden.
    »Ja«, sagte Karl Alexander, kurz, barsch, militärisch. »Es heißt: Attempto!«
    Überrascht sah, mit einem kleinen, anerkennenden Lächeln Süß auf. »Attempto! Ich wag’s!« , das war ein frecher, ein kühner, ein fast genialer Witz. »Attempto! Ich wag’s!« hatte Eberhard im Barte gesagt und als erster deutscher Fürst seinem Land eine Verfassung gegeben. »Attempto! Ich wag’s!« war die große Inschrift auf dem Attribut dieses Fürsten, dem Zedernstamm, den er vom Kreuzzug mitgebracht. So hing sein Bild überall im Herzogtum. Mit diesem tapfern Wahlspruch hatte er den Großteil seiner Macht von sich abgetan und dem Volke zurückgegeben. Wenn einer im Land kein Wort Latein sprach, dieses »Attempto!« verstand er; denn es war die Grundlage der Verfassung und aller bürgerlichen Freiheit. Und dieses gleiche »Attempto! Ich wag’s?« wählte jetzt Karl Alexander als Losungswort, eben diese von seinem Ahn begründete Verfassung zu zerschlagen, die Macht wieder an sich zu reißen, an Stelle der ausgebildetsten Demokratie den nackten Absolutismus zu setzen. Donnerwetter! Dazu gehörte soviel Mut wie Geist. Dieser Karl Alexander war doch ein Kerl!
    Gehoben, in drängendem, brustweitendem Lustgefühl ging Süß nach Hause. Er hatte diesen Mann dazu gemacht,hatte das Licht in ihm angezündet, hatte aus einem hitzigen, brünstigen, brutalen Stück Fleisch einen Fürsten geknetet. Oh, sein Weg war schon der rechte. Wie plump wäre es und simpel gewesen, ihm dazumal an die Gurgel zu springen. Jetzt hatte er sein Opfer herangemästet, hatte es erhöht, es ansehnlich und wert gemacht. Ein verhungertes Tier anzunehmen weigerte sich der Priester wie der Gott. Das Opfer, dessen Blut er jetzt darbot, konnte bestehen.
    Er ging in seinem Arbeitskabinett auf und nieder, angeregt, geschwellt, alle Kerzen brannten, auch in den anstoßenden Zimmern. Was hatte Rabbi Gabriel gesagt? An jedem Fest, das ihr dem Toten gebt, steigt er herauf, um jedes Bild, das ihr ihm weiht, schwebt er, hört jedem Worte zu, das von ihm klingt. Mit allen Gedanken hatte er und Blut und Nerven die Tote gerufen; aber sie war nicht gekommen, nur in Dämmer und Nebel hat er sie ahnen dürfen. Jetzt wird er ihr ein Opferfest bereiten, zu dem sie heraufsteigen muß. Nicht nur leibhaft wird er ihr diesen Herzog opfern, auch seine Seele hat er so präpariert, daß sie just in dem Moment aus dem Körper sich lösen soll, wenn sie in ihrer Hoffart Blüte strotzt. Und die Seele des Hoffärtigen wird eingekörpert in Feuer; in Feuer zerzuckt sie, tausendfach zerrissen in jeder Sekunde, durch eine neue Ewigkeit. Steig auf, Naemi! Steig auf, Kind, mein Kind, mein bestes, mein reinstes, Lilie im Tal, steig herauf! Ein Scherbenmal eines zerschmissenen Königtums richte ich dir auf, einen Fürsten opfere ich dir, eine Seele einkörpere ich in ewig zerzuckendes Feuer! So ruf ich dich, Naemi, mein Kind! Steig herauf! Taube im Felsenriß, auf heimlichem Hang! Laß mich schauen deine Gestalt, laß mich deine Stimme hören! Denn deine Stimme ist süß und lieblich deine Gestalt.
    Er hielt ein, rief sich zurück. Ei ja, dies mußte ja noch geschehen. Er wollte nicht, unter keinen Umständen wollte er, daß es scheinen könnte, er verquicke seine Sache gegen Karl Alexander mit irgendwelcher persönlichen Sicherung oder gar mit Vorteilen für sich. Vor anderen nicht und vor sich selber nicht durfte er leisesten solchen Verdacht aufkommenlassen. Sprang für das Land Profit dabei heraus, so war das nebensächlich, nicht zu erstreben, nicht zu vermeiden; für sich selber jedenfalls wollte er jeden Gewinn daraus im vorhinein zerstören. Er war jetzt da, um das Herz dieses Fürsten Karl Alexander von Württemberg fett und hoch zu züchten, und wenn es am

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