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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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zunehmend beliebt war. Seine plumpen, banalen Scherze wurden weitererzählt, Anekdoten herumgetragen und beifällig belacht, die von einer gewissen grobianischen Leutseligkeit zeugten. Jedenfalls hatte, wie es zuweilen kommt, das Volk ohne ersichtlichen Grund auf den massigen Mann mit der niederen Stirn, dem harten Mund, den unförmigen, immer behandschuhten Händen, der brutal rissigen Stimme seine ganzen Sympathien geworfen; er war fraglos der populärste Militär in Stuttgart. Seiner Beliebtheit war es zu danken, daß die Einstellung der Waffenübungen des Stadtreiterkorps nicht zu Tumulten führte.
    Unterdes lag jeder Winkel der Stadt in dumpfer Spannung. Die oberste Kirchenbehörde ordnete eine allgemeine Buß-und Betwoche an. Viele machten ihr Testament. Am Sonntag Judika drängten sich solche Massen zum Genuß des Abendmahls, daß die Kirchen lang in die Nacht hinein erleuchtet bleiben mußten. Das Parlament organisierte einen sorgfältigen Nachrichtendienst, schickte Fronreitende durch das Land nach allen Richtungen, auf Kundschaft, ob fremdes Kriegsvolk im Anzug sei. Erhielt auch bald aus Wimpfen Meldung, der bischöfliche Vortrab in Mergentheim habe das Komtureigebiet verlassen in der Richtung Ellwangen, das gleiche besagten Depeschen aus dem Hohenlohischen.
    An jenem Sonntag Judika hatte der Stadtdekan Johann Konrad Rieger so wuchtig gepredigt wie noch nie. Prophetenhaft hatte er von dem Greuel gesprochen derer, so die heiligen Tafeln des evangelischen Glaubens und christlicher Freiheit zerbrechen, er hatte allen eindringlich und bedeutend die ungeheure Verantwortung vor Augen gestellt, die diejenigen, so solches unternahmen, vor Gott und Welt und Römischem Reich auf sich luden. Hatte dann rollend und mannhaft gewarnt, auch in der Hand des Schwächeren werde die ärmste Waffe stark und furchtbar, wenn Gott sie führe.Zum Ende aber hatte er, allen Samt seines glatten, dunklen, lang hinhallenden Organs vor die andächtige Gemeinde breitend, zur Buße und Einkehr gemahnt mit großen, starken Worten, daß in der weiten Stiftskirche ein Schluchzen war und mächtige Ergriffenheit.
    In der ganzen Stadt sprach man von dieser Predigt. Grimmig fiel solcher Triumph des Nebenbuhlers den Regierungsrat Johann Jaakob Moser an, und in einer Nacht ohne Schlaf beschloß der Publizist, nun seinerseits zum Volk zu sprechen. Aber er wird es sich nicht so leicht und billig machen wie der Prediger, wird nicht die Weihe des Hauses als wohlfeile Folie verwenden wie jener; nein, auf offenem, freiem Platz wird er zu den Bürgern sprechen, die Schergen des Herzogs nicht scheuend. Hin und her ging er in seiner Studierstube, konzipierend, mit heftigen, großen Gesten, rundete die herzaufwühlenden Worte, dünkte sich ein Gracchus, ein Harmodios oder Aristogeiton, ein Marcus Junius Brutus, warf mit statuarischer Bewegung die Falten einer imaginären Toga.
    Er erhitzte sich mehr und mehr, Blut drang ihm zu Kopf, Schweiß brach aus. Er führte solche Hitze zurück auf schlechte Verdauung; vielleicht hatte er des Mittags zuviel Heidelbeerwein getrunken, so daß der an sich träge Darm jetzt den Dienst ganz versagte. Er sprach seiner Frau von seinen Beschwerden, denn er hielt besorgt auf Hygiene, und die ängstliche Frau richtete ihm einen Trank Glaubersalzes zurecht. Er nahm dann wieder die Beschäftigung mit seiner vorhabenden Rede auf, und im Verein mit der damit verbundenen heftigen Bewegung tat denn auch die Medizin die gewünschte Wirkung.
    Andern Tages sammelte er dunkel und bedeutend eine Menge Volkes um sich. Rottierer und Demonstrierer mußten öfters auseinandergesprengt werden in diesen letzten Tagen; es zeigten sich sogleich und drohend herzogliche Wachoffiziere, Büttel, Landhusaren. Der Publizist fühlte sich schon gröblich gepackt, in die ewige Nacht der Kasematten geschleppt. Aber er holte all seinen Mut zusammen und setztemit krampfhafter Todesverachtung zu reden an, als es ihm im Leib öde wurde, kneipte und stach. Sei es durch die Nachwirkung der Medizin vom Vorabend, sei es, daß durch die gewaltsam erkämpfte Tapferkeit seine Natur eben doch durchbrach: er mußte vom Platz weichen, unter den höhnischen Augen der Herzoglichen und ohne den Ruhm des Konkurrenten. Andern Tages, in dem amarantfarbenen Kabinett Marie Augustens, hielt er dann die Rede, um soviel Feuer nicht ganz unnütz gesammelt zu haben, vor ihr und Magdalen Sibylle. Die saß schlicht, friedsam und etwas behäbig, Marie Auguste aber, weiß und hauchig im

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