Jud Sueß
Sprung! Schick aus deine Gieraugen! Schnapp, Fürst! Schnapp zu, mein Herr Herzog!
Zwei Tage noch, nicht einmal zwei Tage; nur mehr fünfundvierzig Stunden. Er lächelte tiefer, schritt einsam durch die kerzenhelle Flucht seiner Säle. Starr und weiß standen die Büsten des Solon, Homer, Aristoteles, des Moses und Salomon, unter den kleinen Pagoden ergingen sich bezopfte Chinesen, vielfigurig auf der Decke raste der Triumph des Merkur, aus den Vitrinen der kostbare Schmuck strahlte, und in seinem vergoldeten Bauer der Papagei Akiba krächzte: »Bonjour, madame!« und »Ma vie pour mon souverain!« Doch der einsame, ruhelos durch seine hellen Säle wandelnde Mann hörte nichts, sah nichts, war bis zum Rand gefüllt von seinen Gedanken, Bildern, Gesichten.
Der Mameluck, wie er um die gleiche Stunde ins Schloß zurückkam und sich im Schlafgemach des Herzogs auf seine Matte im Winkel streckte, hörte, wie Karl Alexander in schweren Träumen stöhnte, um sich schlug, gurgelte.Es war schon spät am Abend, als Unser Lehrer Rabbi Gabriel Oppenheimer van Straaten in Hamburg im Hause seines Freundes Unseres Lehrers Rabbi Jonathan Eybeschütz eintraf. Das Haus war voll von Besuchern, Verehrern, Ratheischenden, und trotzdem die Schüler sie immer wieder bedeuteten, der Rabbi sei über den Büchern, in Meditation, es sei keine Aussicht, daß er sie empfange, wollten sie nicht weichen, erhofften sie noch immer wenigstens seinen Anblick. Viele waren von weither gekommen, ihn zu sehen, aus den früheren Gemeinden des Rabbi, Krakau, Metz, Prag, aber auch noch viel weiter her, aus der Provence, ja vom Schwarzen Meer. Denn der Name des Rabbi Jonathan Eybeschütz, Rabbiners von Hamburg, war in Demut verehrt über weites Land.
Aber auch verhaßt und angefeindet mit schärfster Waffe über weites Land. Ei, wie hatte Unser Lehrer Rabbi Jaakob Hirschel Emden, Rabbiner von Amsterdam, ihn verhöhnt, mit kältestem Spott zerfetzt, zerrupft, als Feind Israels, des Talmuds, der Rabbiner, des wahren Wortes ihn gebrandmarkt und verlacht. Rabbi Jonathan Eybeschütz: der Name riß die Judenheit auseinander; in allen Schulen und Bethäusern, auf allen Synoden war Kampf um diesen Namen, war Segen und Hymnus um ihn und Spott und Bannstrahl.
Wer war dieser Mann? War er ein Talmudgelehrter, eifernd, zänkisch, keifend an den Riten klebend, giftig ums Jota feilschend, den hohen Zaun des Gesetzes mit ängstlich wildem Gebläff Zoll um Zoll verteidigend? Hatte seine philosophische, historische, mathematische, astronomische Wissenschaft ihm den rechten, wort- und werkheiligen Glauben zerknabbert, ihn zum Verächter und Spötter rabbinischer Praxis gemacht? Glaubt er wirklich die Lehre der Kabbala, übt sie, ist heimlicher Jünger und Nachfahr des Messias Sabbatai Zewi, segnend, fluchend, wunderwirkend im Namen dieses Erlösers? Warum dann aber flucht er öffentlich den Jüngern des Sabbatai und tut sie feierlich in Bann? Und warum wieder schickt er seine Söhne zu den Frankisten nach Polen, den fanatischen Jüngern jenes zwielichtigen Messias? Schreibtwirklich dieser eifernde, orthodoxe Talmudlehrer den französischen Kardinälen, den Jesuvätern in Rom Briefe, sie bittend, ihn zum Zensor der hebräischen Bücher zu machen? Ist es Hohn oder was bedeutet es, daß er seine streng rabbinische Rechtgläubigkeit gegen allen solchen Verdacht ausgerechnet von dem Helmstedter Professor Karl Anton verteidigen läßt, seinem früheren Schüler, jetzt aber Christ geworden und Apologet des christlichen Evangels?
Tief neigten sich, als Rabbi Gabriel kam, die Schüler des Rabbi Jonathan. »Sei Friede mit dir!« sagten sie, und die verschlossene Tür des Meisters sprang auf vor ihm. Mild saß im Licht der Lampe seines Studierzimmers Rabbi Jonathan Eybeschütz, der weiseste und listigste der Menschen. Freundlich, kokett, mit leisem Selbstspott und erfreut lächelte er aus seinem mächtigen, mehr breit als langen, milchig weißen Bart, der nur ganz leicht nach Art der Kabbalisten zwiegezackt war, dem bartlosen, mürrischen, steinernen Kömmling entgegen. Alles an ihm war bei betonter Würde rund und behaglich. Aus schwerster Seide schmiegte sich, unendlich kostbar, sein langer Kaftan; sehr klein kam, weiß und gepflegt aus dem weiten Ärmel die Hand zur Begrüßung. Unter dem gewaltigen, weiß fließenden Bart lächelte freundlich, fast rosig und gar nicht zerwittert das Antlitz. Nur über der behaglichen, kleinen Nase und den milden, wissenden, schlauen und doch
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