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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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tiefen braunen Augen zackten senkrecht in die weiße, fleischige, vorgebaute Stirn die drei Falten, bildend das Schin, den Anfangsbuchstaben des allerheiligsten Namens: Schaddai.
    »Es schelte mich nicht und zürne mir nicht mein Bruder und Herr!« begrüßte er hebräisch den Gast. Er lächelte, und es war in seinem Lächeln Wissen und Schwäche und Koketterie und Schuldbewußtsein und sogar ein wenig Schalkheit. Über allem aber eine magische, einlullende Liebenswürdigkeit.
    Doch an Rabbi Gabriel versagte diese Magie. Über der kleinen, platten Nase die viel zu großen trübgrauen Augenschwelten dumpfe, hemmungslose Traurigkeit, und von der schweren, breiten, nicht hohen Stirn über den dichten Brauen ging lastende, beklemmende Trübnis aus. Rabbi Jonathan Eybeschütz indes war nicht gewillt, solche Trübnis an sich herankommen zu lassen. »Hast du«, fragte er leicht, fast munter, »hast du, Gabriel, die neue Streitschrift des Krethiund Plethi- und Honigwälder-Mannes gelesen?« Dies waren die wichtigsten Werke jenes Jaakob Hirschel Emden, Rabbiners von Amsterdam, seines entbranntesten Gegners. »Jetzt hat der Gute glücklich zwölf Pasquille gegen mich losgelassen, für jeden Stamm Israels eines«, fuhr er fort, und seine braunen, weisen, listigen Augen lachten spöttisch-vergnügt. »Jaakob Hirschel aus Amsterdam ist ein Zwölfender geworden.« Mit der kleinen, gepflegten Hand blätterte er in den großen Seiten der Streitschrift. »Der arme, arme Nüchterling!« sagte er mitleidig amüsiert. »Alles muß klar sein, alles muß hell sein, alles muß Tag sein! Er ahnt nicht, der kahle, dürre Spötter, er begreift es nicht, daß eine getrocknete Blume Heu ist und nur gut für einen Ochsen. Erläßt Sendschreiben! Beweist, daß der Sohar nicht echt ist. Daß Rabbi Simon ben Jochai ihn nicht geschrieben haben kann. Schreit: Fälschung. Als ob es auf die Feder ankäme, nicht auf die Seele, die sie führt.« Und er wiegte spöttisch und amüsiert den milden Kopf mit dem riesigen, milchig fließenden Bart.
    Aber Rabbi Gabriel ging nicht ein auf den Ton des andern. »Warum hast du die Schüler des Sabbatai in Bann getan?« fragte er mit seiner knarrigen Stimme. »Warum biegst du aus und krümmst dich und leugnest ab? Warum läßt du dich verteidigen von einem Goi mit dummen und albernen Sophistereien? Warum resignierst du nicht? Ist es so wichtig, daß du Rabbiner von Hamburg bist und deine Stuben voll von Menschen? Warum hast du« – und in seiner Stimme war Klagen und Drohung – »dich selber in Bann getan?«
    Jonathan Eybeschütz lachte ein kleines, angenehmes Lachen behaglich aus seinem milden Bart heraus. »Laß gut sein, Gabriel«, sagte er. »Du bist nicht sanfter geworden in denzwei Jahren, ich nicht strenger. Ich könnte sagen: ist es nicht gleich, ob einer Jud ist oder Goi oder Moslem, wenn er nur weiß um die Obere Welt? Ich könnte sagen: Gut, Karl Anton, mein Schüler, hat sich taufen lassen; aber ist nicht mehr Gemeinschaft und Bindung von ihm zu mir als von mir zu dem Reb Jaakob Hirschel Emden, der ein guter Jud ist und ein scharfer, gebenschter Kopf, aber leider ein bornierter Tagmensch, stockblind für die Obere Welt und stocktaub für ihre Stimme? Ich könnte sagen: Der Messias Sabbatai Zewi selber ist Moslem geworden, um das Prinzip, um die Idee zu retten, und sein Jünger Frank hat sich taufen lassen; soll es da mir nicht erlaubt sein, in die Vermummung eines pilpulistischen Rabbi zu schlüpfen, mit drohender Lippe und Lächeln im Herzen leere Bannflüche gegen mich selber zu exequieren? Ich könnte sagen: Es ist billig, Märtyrer sein; es ist viel schwerer, zwielichtig dastehen um der Idee willen.
    Das alles könnte ich sagen. Aber ich sag es dir nicht, Gabriel.« Er stand auf und kam groß und freundlich in seinem seidenen Kaftan auf den mürrischen, dicklichen, trüben, altfränkisch beamtenhaft gekleideten Mann zu. Sehr liebenswürdig, fast knabenhaft herzlich sagte er: »Ich räum es ein, ich bin schwach und töricht und eitel. Die Sterne haben es gut mit mir gemeint, haben mich zum Gefäß großer Weisheit gemacht, ich hätte können ein Kanal sein, aus dem mächtige Ströme gehen von der Obern zur Untern Welt und der Atem Gottes. Aber ich bin ein schlechtes, brüchiges Gefäß. Ich weiß, und niemand spürt es lebendiger durch alle Eingeweide, wie selig ruhevoll es ist in Gott schweben und wie die Untere Welt eitel ist und farbiger Schaum und Haschen nach Wind. Aber ich muß hinein in sie,

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