Jud Sueß
bleiben sie stehen, überschauert, hören aus tausend Schällen heraus eine ganz leise, verrieselnde Stimme: nicht wollen, nicht tun, verzichten auf das Ich.
Und mancher von ihnen schreitet den Pfad ganz aus: vom rasenden Wirbel des Tuns, aus Macht, Lust, Besitz über den Trotz gegen die Zerwesung zur seligen Ledigung und Lösung, zur Verebbung in Nichtwollen und Verzicht.
Durch Nacht, Wolken, Sturm jagten die Kuriere nach Stuttgart. Zu den Herren des Parlaments, zu Remchingen, zur Herzogin. Sie überholten die Kutsche mit den Deputierten, die beim Herzog gewesen waren. Vor den Deputierten schon passierte die Kunde vom Tod Karl Alexanders das Tor, flackerte schüchtern durch die dunkle, stille Stadt, in der doch überall Geraun und Fieber war. Auf die Straßen, zum Nachbarn, eilten die Bürger. Ist es wahr? Die Strafe Gottes, der sichtbarliche Finger des Herrn. So erschütternd groß und unwahrscheinlich die Erlösung. Aber ist es auch wahr? Ist es keine Falle? Zaghafte Lichter brannten auf in den Häusern. Verstärktes Geraun, erste, unterdrückte Freudenrufe. Auf einmal zuckte ein Gerücht auf, alles wieder austretend: es war nur ein Anfall, der Herzog ist zum Leben zurückgebracht. Wie sie nach Hause schlichen, sich duckten, die Lichter löschten. Bis endlich, endlich Gewißheit kam, unzweifelbare Nachricht, vom Rathaus herab verkündet wurde: der Herzog ist tot. Jetzt toste der lang gezügelte Jubel los. Umarmen, Beten. Freude auf allen Gesichtern als der Geretteten. Lichter und Feiertag. Der schweinsäugige Konditor Benz malte, mit seinen Kumpanen aus dem »Blauen Bock«, ein Transparent,auf dem über einer Kirche mit zwei Türmen ein geflügelter Teufel einen Menschen wegtrug. Untenhin mit riesigen Lettern setzte er den Reim: »Schaut, wie den Renegat ums Gold / Leibhaftig hier der Teufel holt.« Mit freudezitternden, schwitzenden Händen stellte er das Transparent ins kerzenstrahlende Fenster, jubelte, wie die Menge davor stehenblieb, den Reim durch die Stadt trug. Bald hieß es überall, den Herzog habe der Teufel geholt. Habt ihr nicht gehört, was für schwarzblaues, gräßlich entstelltes Gesicht die Leiche hat? Mit den Krallen erwürgt hat Beelzebub den ketzerischen Fürsten.
In flatteriger Fassungslosigkeit saß Marie Auguste in ihrem Kabinett. Um sie der Hofkanzler Scheffer, der General Remchingen, ihr Beichtiger, der Kapuzinerpater Florian. Sie saß in einem entzückenden Negligé, das heute früh erst durch Spezialkurier aus Paris angelangt war, und sie mußte immer denken, wie schade es sei, daß sie das Negligé nicht schon einen Tag vorher gehabt hatte. Dann hätte sie es in jener Abschiedsnacht getragen, und Karl Alexander hätte es noch gesehen. Nun war er gräßlich tot und wird sich nie an keinem Negligé und keiner Frau mehr freuen. Sie empfand es wie eine gute Tat, daß sie wenigstens in der letzten Nacht Karl Alexander so willig gewesen war. Von unten her dröhnte der Jubel der Stadt über den Tod des Herzogs.
Der massige Remchingen, in aller Angst und Betretenheit unwillkürlich und ohne Gedanken an den nackten Armen Marie Augustens fressend, knurrte, berstend vor machtloser Wut: Dreinhauen! Dreinhauen! Trotz allem das Projekt durchführen. Man habe die Soldaten. Er stehe für die Soldaten. Schön, ein paar Regimenter werden meutern. Er werde füsilieren lassen. Man vereidige eben auf die Herzogin. Semiramis. Elisabeth. Katharina. Dreinhauen! Dreinhauen! Ängstlich wehrte der schlotterichte Hofkanzler. Nur um Gottes willen jetzt kein Blutvergießen. Der Putsch sei erledigt und vorbei. Nur behutsam jetzt und legitim. Alles legitim. Das Testament gebe Handhaben. Ähnlich argumentierte Pater Florian, dochbestimmter und minder furchtsam. Die rasche Phantasie des Kapuziners spann an einer luftigen Kette. Er, der staatskluge Mann, als Beichtiger der regierenden Herzogin, an dieser vielleicht wichtigsten, aussichtshellsten Stelle im Reich. Er träumte sich schon, während er leise, vorsichtige Worte setzte, als deutschen Richelieu oder Mazarin. Aber Marie Auguste war, während ihr pastellfarbener, kleiner Eidechsenkopf aufmerksam zu lauschen schien, sehr abwesend, sie dachte an Karl Alexander, an das Negligé, an den zu bestellenden Witwenschleier – man konnte das sehr pikant und kleidsam machen, selbst die häßliche Herzogin von Angoulême hatte gut darin ausgesehen –, und nachdem die Herren höchst positive Vorschläge gemacht hatten, sagte sie unvermittelt mit kleiner, wichtiger
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