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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Man war todmüde und zerschlagen nach der wirren Nacht mit ihrem Auf und Ab, streckte sich aufs Lager. Und noch immer keine Depesche von dem Juden. Es war hinterhältig, rücksichtslos, gemein. In die ersten Träume hinein glitt den verbissen Wütenden um die Herzogin, den triumphierenden Parlamentariern, den Gestürzten, Verhafteten dumpf Furcht und Hoffnung: Was tat Süß?
    In Ludwigsburg diktierte der Doktor Wendelin Breyer den ärztlichen Befund. Zusammen mit den Kollegen Georg Burkhard Seeger und Ludwig Friedrich Bilfinger und in Gegenwart des Regierungspräsidenten von Beulwiz und des Hofmarschalls von Schenk-Kastell hatte er die Leichenöffnung vorgenommen. Alle drei hatten die Leibärzte, während sie an der Leiche herumschnitten, die gleichen Gedanken: Ei du! Jetzt liegst du fein still, stößt nicht mit dem Fuß, schmeißt mirkeine Medizinflasche an den Kopf. Aber ihre Mienen blieben ernsthaft und voll gravitätischer Trauer, wie es Wissenschaftlern ziemt. Und jetzt diktierte der Doktor Wendelin Breyer mit seiner hohlen Stimme und mit großen, flatterigen Bewegungen das umständliche und gewissenhafte Judicium medicochirurgicum, den Befund des Kollegiums. »Aus diesem Viso reperto«, diktierte er, »erhellet genugsam, daß Seine Hochfürstliche Durchlaucht nicht an einem Schlagfluß, nicht an einer Inflammation oder Gangraena, nicht an einem Blutsturz, auch nicht an einem Polypo etc., sondern an einem Steckfluß verschieden und in dem Blut recht ersticket ist. Zu dieser so schnellen Veränderung hat ohne allen Zweifel Gelegenheit gegeben einesteils der ehemals öfters rekurierte, letzthin aber allzu heftig ausgebrochene Spasmus diaphragmatis etc. und der große, das Zwerchfell über sich pressende, mit vielen Blähungen angefüllte Magen, andernteils aber die ad stagnationem sanguinis plenariam, ob atoniam et debilitatem connatam (allermaßen die betrübte Erfahrung nur allzu deutlich zeigt, daß die meisten Durchlauchtigen Fürsten vom Haus Württemberg an Brustzuständen dahingehen) ohnehin disponierte Pulmones.«
    In Stuttgart wurde unterdes, schon am Tag nach dem Tode Karl Alexanders, sein Testament eröffnet. Das Testament setzte in seiner ursprünglichen Fassung die Herzogin zusammen mit dem Herzog Karl Rudolf von Neuenstadt als Vormünder ein. Ein späteres, von den Geheimräten Fichtel und Raab veranlaßtes Kodizill bestimmte indes den Erzbischof von Würzburg als Mitvormund, ein zweiter, von Karl Alexander erst kurz vor seinem Tod unterschriebener Zusatz stattete den Bischof mit besonderer Machtvollkommenheit aus.
    Sogleich fuhr eine Deputation des Elfer-Ausschusses nach dem stillen Neuenstadt zu Herzog Karl Rudolf, ihn um sofortige Übernahme der Regentschaft untertänigst zu bitten. Karl Rudolf war ein karger, hochbetagter Herr. Er hatte in Tübingen studiert, in jungen Jahren schon die Welt von allen Seiten berochen, war in der Schweiz, in Frankreich, England,in den Niederlanden gewesen. Er hatte dann venezianische Dienste genommen, in Morea gefochten, sich bei der Belagerung von Negroponte groß ausgezeichnet. Hatte als Freiwilliger in Irland gekämpft, im spanischen Erbfolgekrieg die zwölftausend dänischen Söldner geführt, den blutigen Sieg bei Ramillies hatte er entschieden. Prinz Eugen und Marlborough schätzten ihn hoch, sein Name glänzte unter den Heerführern Europas. Plötzlich dann, als durch den Tod seines Bruders ihm die Württembergisch-Neuenstädtischen Apanagegüter zufielen, legte der Fünfzigjährige alle Kriegsstellen nieder, zog sich in die kleine Stadt zurück, lebte als Bauer, als strenger, gewissenhafter Hausvater seines kleinen Volkes.
    Er hatte keinen Verkehr mit Karl Alexander gehabt. Der prächtige Fürst mit seinem üppigen Hof, seinem frechen, gaunerischen Juden war ihm tief zuwider. Er war ein strenger, karger Herr und nun über siebzig. Er liebte seine kleine, versponnene, umblühte Stadt; sprach man von Marie Auguste, der Ketzerin, der frivolen Liebhaberin von Putz und Komödianten, verzog er sauer und angeekelt die harten Lippen. Er war klein, dürr, etwas schief, sein Wort von militärischer Kürze, seine Kleidung und sein Hofhalt streng geregelt, sauber, schäbig. Er sagte: Pflicht! Er sagte: Gerechtigkeit! Er sagte: Autorität! Er war trotz seines Alters ein starker Arbeiter.
    Er hörte die Stuttgarter Herren schweigend an, ließ sie ihre umständlichen Sätze zu Ende reden und wiederholen und schwieg noch immer. Er war sehr betagt, er wäre gern seine

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