Jud Sueß
wenigen Jahre noch in seiner kleinen, umblühten Stadt geblieben, hätte, ein alter Bauer, seine Felder inspiziert und seine Weinberge und die einzelnen seiner Untertanen beaufsichtigt, wie sie ihre Kinder hielten und ihr Vieh. Nun legte Gott ihm alten Mann diese harte Arbeit auf, das verlotterte Land zu säubern und auszumisten, sich vor seinem Sterben noch mit Kaiser und Reich herumzuschlagen, sich mit dem fetten, schlauen Jesuiten von Würzburg abzuärgern. Gottkommandierte; er war Soldat und kannte Subordination, hielt Disziplin, fügte sich. Er sagte den Stuttgartern, er nehme die Verweserschaft an, doch unter dem Beding, daß kein zweiter Vormund neben ihm sei, die Herzogin nicht, die Katholikin, die Regensburgerin, und gar erst nicht der Jesuit, der Würzburger. Er sagte, er werde schon anderntags in die Residenz kommen.
Sehr vergnügt fuhren die Stuttgarter zurück. Das war der Mann, den sie brauchten. Der wird mit dem Remchingen fertig werden und auch mit dem Juden, von dem man, seltsamerweise, noch immer nichts hörte.
Remchingen schlug sogleich wild um sich. Er haßte den dürren Neuenstadter von je, hatte sich öfters lustig gemacht über den Filz und Kleinkrämer. Jetzt stützte er sich auf das Kodizill des Testaments, auf die Vollmachten des Fürstbischofs von Würzburg, auf die Truppen, die ihm ergeben waren. Er verweigerte dem Herzog-Verweser die Handtreue, nahm von ihm keine Parole an, verbot beides auch seinen Untergebenen, vereidigte sie auf Karl Alexanders Testament. Verstärkte ohne Wissen und gegen den Willen des Herzog-Verwesers die Stuttgarter Garnison, gab den Kommandanten der Festungen und der Garnisonen im Land Weisung, keine Ordres anzunehmen als unmittelbar von ihm oder der Herzogin. Um die Armee gegen Karl Rudolf aufzureizen, sprengte er aus, der neue Herr gehe mit dem Parlament auf eine Verringerung des Heeres aus, große Entlassungen stünden bevor.
Unter solchen Umständen zog Karl Rudolf still und karg in Stuttgart ein, bezog Wohnung in einem Nebenflügel des Schlosses, wollte der Herzogin-Witwe seine Aufwartung machen, die nahm ihn nicht an. Er kümmerte sich nicht darum, saß, der Einundsiebzigjährige, andern Morgens schon um sechs Uhr, wie er es gewohnt war, bei der Arbeit. Er mistete, zunächst in der Hauptstadt, rücksichtslos aus, alle unzuverlässigen Beamten wurden entlassen, ihre Papiere beschlagnahmt, viele verhaftet. Die Mehrzahl der Führer der katholischen Partei war bereits geflohen.
Im Volk verhöhnte man laut und allenthalben den toten Herzog, der noch nicht unter der Erde lag, die Herzogin-Witwe, die grollend und zappelig und machtlos in ihren Zimmern saß. Der Herzog-Verweser ließ strenge Ordres ausgehen, die solche Äußerungen verboten. Er sagte: Pflicht! Er sagte: Gerechtigkeit! Er sagte: Autorität!
Mit anderen wurde auch der Konditor Benz, der das poetische Transparent mit dem Herzog und dem Teufel fabriziert hatte, infolge solcher Ordres drei Tage auf die Bürgerwache gesetzt. Hierbei holte sich der schweinsäugige Mann eine starke Influenza. Wieder in seinem Haus, mußte er sich ins Bett legen, er trank allerlei Tee, bald wußte man, er wird nicht mehr aufkommen. An seinem Lager standen seine Freunde aus dem »Blauen Bock«. Er feixte schief: »Unterm vorletzten Herzog regierte eine Hur, unterm letzten ein Jud, unterm jetzigen ein Narr.« Er tobte gräßlich, als er starb, spie scheusälige, kotige Flüche von sich. Im »Blauen Bock« sagten sie, der Ketzerherzog und sein Jud seien jetzt auch am Tod dieses guten Bürgers schuld.
Marie Auguste arbeitete mit Remchingen wild und fahrig gegen Karl Rudolf und das Parlament. Es schmeichelte ihr, sich als große Frau bewundern zu lassen. Die erste Dame Deutschlands war sie lange genug gewesen, jetzt reizte es sie, ein weibliches Gegenspiel zu dem jungen Preußenkönig zu werden, der eben den Thron bestieg. Ei, sie wird der katholische Widerpart dieses großen Protestanten sein. Hatte sie nicht den Kaiser, Kurbayern, ihren Vater, ja selbst Frankreich für sich? Sie sollte, die kluge, mondäne Frau, es nicht aufnehmen können mit diesem alten Kracher und Bauern und versauerten Trottel und Tappergreis, dem frechen Usurpator Karl Rudolf? Zusammen mit Remchingen, ihrem Kapuzinerpater Florian und ihrem Bibliothekar Hophan, den sie für einen großen Politikus ästimierte, spann sie unzählige, kleine, kindische Intrigen, schmollend, wenn etwas nicht sogleich gelang. Tausend Depeschen liefen, nach Wien, nach
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