Jud Sueß
Stimme: »Que faire, messieurs? Que faire?«
Der engere Ausschuß des Parlaments trat noch in der Nacht zusammen; auch anderen Parlamentariern konnte man es nicht verwehren, an der Sitzung teilzunehmen. Dieser wichtig sich gehabende Jubel, dieses Machtgespreiz. Die Herren taten so, als sei der Tod des Herzogs ihr persönliches Verdienst, als hätten sie umsichtig und staatsklug diese einfachste Lösung der Krise herbeigeführt. Der Parlamentarier Neuffer glaubte wirklich, er sei der Urheber der absonderlichen Errettung. Düster phantasierend spann er sich, Tatsächliches und Gehörtes umbiegend und geheimnisvoll belichtend, eine abenteuerliche Intrigengeschichte zusammen, und er saß als Spinne und Fadenlenker mitteninne. Hatten nicht seine dringlichen Reden den Kammerdiener Neuffer, seinen Vetter, von der Verderblichkeit des Despoten überzeugt, ihn, freilich ohne daß er es eingestand, zur Sache der Verfassungspartei bekehrt? Zweifellos hatte der vertraute Diener die Dosis des Aphrodisiakums so verstärkt, daß bei der Lebensweise und der Verfettung des Herzogs der Schlag mit Notwendigkeit eintreten mußte. Er hatte schon bei Medizinern herumgefragt; alle hatten es ihm bestätigt, daß unter so beschaffenen Umständen die Katastrophe eintreten mußte, wofern Gegenmittel nicht sogleich zur Stelle waren. Und sie waren nichtzur Stelle, Karl Alexander starb – war dies Zufall, ho?, oder hatte vielleicht eine sachte, kluge Hand es so eingerichtet? –, Karl Alexander starb ganz allein. Nicht einmal sein Beichtiger war da, seine Ketzerseele in den Ketzerhimmel zu steuern; kein Lakai war auf den Korridoren, alle Dienerschaft war – merkt ihr was? – im anderen Flügel des Schlosses, um dem Tanzen zuzuschauen. Einsam, wie ein Hund, verreckte der Despot. Diesen abenteuerlichen Roman, dem Wissenden schon dadurch hinfällig, daß der Schwarzbraune und nicht der Neuffer den Trank gemischt hatte, flüsterte, teuflisch und bedeutungsvoll grinsend, der finstere Mann seinen Parlamentskollegen zu, und der Tod des Herzogs just in diesem Moment war ja auch ein so unwahrscheinliches Glück, daß viele geneigt waren, der Erzählung des dunklen Fanatikers zu glauben. Schon rückten sie und doch bewundernd von ihm ab, und einsam sonnte sich der Stuttgarter Brutus in seiner düstern Größe.
Die anderen, geschwellt, machten Pläne. Schon war die Freude über die Errettung verdrängt von dickem Besitz-, Macht-, Rachegefühl. Ho! Jetzt war man obenauf! Ho! Jetzt wird man heimzahlen, dem Juden, den Ketzern, allen, vor denen man hat kuschen müssen. Es war klar, daß der Herzog Rudolf von Neuenstadt Obervormund des kleinen Herzog-Nachfolgers werden mußte, wie immer das Testament Karl Alexanders lauten mochte. Auf den konnte man sich verlassen. Der war guter Protestant und von ihrer Partei. Noch morgen wird man ihn beschicken. Und heute noch, heute nacht noch wird man den Ketzern und Landverderbern und Judenzern zum Tanz aufspielen. Ans Militär wagte man sich nicht heran; aber was an Zivil von der Süßischen Partei in Stuttgart, nicht in Ludwigsburg, war, packte man noch in derselbigen Nacht. Es war ähnlich wie nach dem Tode Eberhard Ludwigs beim Sturze der Gräfenitzischen. Die Büttel und Gerichtsdiener gingen herum, verhafteten, schleppten die Gestürzten, schief Blickenden, wild Fluchenden, giftig Schimpfenden, verächtlich Bettelnden und Lamentierendendurch das gaffende, höhnende, jubelnde Volk auf die Wache. In Haft die Bühler, Mez, Hallwachs, in Haft die Lamprechts, Knab, ja selbst der Hofkanzler Scheffer.
Knirschend schaute Remchingen zu. Ausdrückliche Ordre der Herzogin verbot ihm, einzuschreiten. Aber sollen sie sich nur ans Militär wagen! Einen einzigen von seinen Offizieren sollen sie anlangen mit ihren stinkigen Pöbelfingern! Dann ist er nicht mehr zu halten, dann haut er drein! Doch in weitem Bogen gingen die Beauftragten der Landschaft um die Militärs herum.
Von einem , merkwürdigerweise, sprach man in Stuttgart nicht oder nur leise, ihn streifend, den Namen nicht nennend. Und doch war der eine der letzte Untergrund all ihrer Gedanken, heimliche Hoffnung der Herzogin und der Militärs, heimliche Furcht des Parlaments und der Bürger. Was tat Süß? Wo setzte er an? Wird er angreifen? Oder wie, der Aalglatte, Teufelsgewandte, sich verteidigen? Er war in Ludwigsburg, man hatte keinen Buchstab Nachricht von ihm, keine Depesche, nichts. Der erste Schimmer des Tages graute herauf, ein warmer, regnichter Märzmorgen.
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