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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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vermeint also«, sagte er schließlich, »die Kommission hat den Juden mehr als den Schelmen verurteilt?« – »Ja«, sagte Harpprecht. Draußen pfiff einer den Gassenhauer: »Der Jud muß hängen!« Der alte Regent hielt die Lippen hart geschlossen. »Ich wollte, ich könnte tun nach Seinem Rat«, sagte er endlich. Damit entließ er den Juristen.
    Andern Tages unterzeichnete er das Todesurteil. »Besser, der Jud wird zu Unrecht erwürgt«, sagte er, »als er bleibt zu Recht leben und das Land gärt weiter.« Auch sagte er: »Das ist ein seltenes Ereignis, daß ein Jud für Christenschelmen die Zeche zahlt.«
    Durch die kahlen, dumpfen Gänge der Festung Hohenasperg, über verwinkelte Treppen, ein mürrischer Korporal mit einem ungefügen Schlüsselbund voran, flatterte Michaele Süß. Der alten, verzärtelten Dame beschleunigte sich das Herz, Mauern überall und klobige Waffen, ein großer, beklemmender, bedrohlicher Apparat. Der Korporal stapfte mit raschen Schritten voraus, sie konnte nur mit Mühe folgen und kam außer Atem, aber sie wagte nichts zu sagen. Endlich knarrte rasselnd eine niedrige, häßliche Tür auf. Sie schaute, schnaufend, in ein kahles Geviert, da saß auf einer Pritsche ein alter Mann, den Rücken krumm, schlaff und übel verfettet, mit schmutzigweißem, ungepflegtem Bart, und summte und döste vor sich hin mit einem abwesenden, törichten Lächeln. Sie sagte zaghaft zu dem Korporal: »Nicht zu dem, guter Mann; ich will zu Josef Süß.« Der Korporal sagte übellaunig: »Das ist doch der Jud, Frau.«
    Angefüllt von tiefem, kältendem Schrecken, schaute Michaele Süß auf den eingesperrten Mann, der ihr jetzt langsam das Gesicht zuwandte, die braunen, blinzelnden, etwas entzündeten Augen. Der Korporal verschloß draußen umständlich rasselnd die Türe. Das ihr Sohn! Der häßliche, verwahrloste Mann, älter als sie, ihr strahlender Sohn! Oh, es war nichts mehr, nicht die leiseste Spur mehr war vom Heydersdorff in ihm, viel eher, merkte sie mit Grauen und Neugier, glich er trotz des Bartes dem Rabbi Gabriel. Sie beschaute ihn scheu, voll Grauen, sie spürte nichts von dem früheren fressenden, schmerzhaften Mitleid, sie spürte, wie er aus ihr glitt, wie sie leer wurde, es war ein fremder, schmutziger, verwahrloster Mensch, mit dem man, versteht sich!, Bedauern haben mußte, denn er war eingesperrt und es ging ihmschlecht und zudem war er ein Jud. Aber sie hatte sich schon wieder verkapselt, und ihr Inneres war umkrustet. Sie stand, eine fremde, elegante Dame, verlegen vor dem ungepflegten, in den Schmutz gerutschten Mann.
    Als sie dann redeten, fand sie kein echtes Wort mehr. Er sprach mild zu ihr, mit einer leichten, überlegenen, fast scherzenden Güte, und streichelte ihre sehr weißen Hände. Sie weinte ein weniges. Aber keines seiner Worte drang zu ihr. Sie dachte immer nur: Dieser alte Mann ihr Sohn! und war umkrustet. Sie war eigentlich froh, als die Stunde um war, die sie bei ihm bleiben durfte, und der mißlaunige Korporal sie wieder abholte. Umschaute sie noch einmal aus der Tür voll scheuen Grauens nach dem alten Mann, der ihr Sohn war. Als sie dann die Festung verließ, war sie es, die den Schritt schneller nahm.
    Bald darauf tauchte ein sanfter, stiller, trauriger Herr in die Zelle, neigte sich, war sehr höflich. Stille, große, weiße Hände, melancholische, fließende Augen in dem fleischigen, vom Rasieren bläulichen Gesicht. Er sprach leise, mit einer beredten, traurigen Stimme. Es war Johann Friedrich Paulus, früher Propst von Denkendorf, jetzt Prediger in Stuttgart, der Konvertit. Der Stadtvikar Hoffmann hatte ihn geschickt. Der Stadtvikar hätte zwar gern selber der Kirche diesen Verstockten gewonnen; aber er sah, hier war wenig Hoffnung, und lieber sollte ein anderer das Werk vollenden, als daß es gar nicht geschah. Der frühere Jude konnte sich vielleicht tiefer hineinschmiegen, hineintasten, hineinschmuggeln in die verhärtete Seele, sie aufzuweichen.
    Still und höflich saß der Konvertit an der Wand, trotz seiner Fülle merkwürdig schattenhaft. Er ließ seine traurigen Mandelaugen herumgehen in der kahlen Zelle. Sprach leise, konversierend. »Dies alles sind nur Kleider und Masken«, sagte er. »Ihr Palais, diese Zelle, Ihr Judentum, mein Christentum: Kleider, Masken. Es ist nur dies, daß einer den Strom Gott in sich spürt. Es ist dies, daß einer ein Schein im Schein, ein Wort im Wort ist. Ich habe Sie steigen sehen, HerrFinanzdirektor, ich habe Sie in Ihrem

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