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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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treuer, uneitler Regent, der arbeitete wie ein Roß und mit Erfolg. Die Arbeit schlug ihm gut an, der schwere, vollblütige Herr sah, der Gleichaltrige, zehn Jahre jünger aus als Harpprecht.
    »Wie steht’s, Herr Bruder?« fragte er, den Blick auf dem Wust von Akten. »Ist es das gleiche«, setzte er langsam, unbehaglich hinzu, »wie damals bei dem Juden Jecheskel?«
    Draußen schneite es weich und dick. Es war sehr still im Zimmer. Von nebenan hörte man den Schritt des jungen Michael Koppenhöfer. »Ja, Herr Bruder«, sagte Harpprecht. »Es ist das gleiche. Er ist formal, nach dem Buchstaben des Kriminalrechts, nicht genug überwiesen.«
    Bilfinger nahm von den Papieren, zerteilte sie, schichtete sie wieder zusammen. »Ist nicht zu bedenken, Herr Bruder«, sagte er nach einer Weile, »daß er sich im Verfassungsstaat Württemberg so viel Ausnahmen permittiert hat vom Verfassungsmäßigen,daß er es sich muß gefallen lassen, wenn man jetzt auch mit ihm eine Ausnahm macht von der Rechtsform?«
    »Das ist zu bedenken«, erwiderte Harpprecht. »Aber nicht von mir. Vom Herzog.«
    Indessen war auch der Prozeß gegen den General Remchingen seinem Ende entgegengeführt worden. Der Freiherr, Jesuit und österreichische Oberst wurde nicht so glimpflich behandelt wie die eingesessenen Hallwachs, Mez, Bühler, Lamprechts, Scheffer, er hatte keine Verwandten in der Kanzlei sitzen, er hatte alles Zivil als Federfuchser, alles Nichtadelige, besonders das Parlament, stets nur als Kanaillen, Rotüre, Populace traktiert und war sehr verhaßt. Man inquirierte also scharf und trug Material zusammen, das, wenn nicht zum Todesurteil, so zumindest zur Bestrafung mit lebenslänglicher Festungshaft genügte.
    Nun war aber um diese Zeit der Vergleich Karl Rudolfs mit der Herzogin-Witwe über die Vormundschaft bis in alle Details fertiggestellt worden, auf eine für den Regenten sehr günstige Art, und unterlag zugleich mit dem Regierungsreglement für die Administrationszeit der Prüfung und Bestätigung der kaiserlichen Kanzlei. In solchem Augenblick durch harte Bestrafung des Katholiken und Österreichers den Wiener Hof zu reizen schien höchst inopportun. So beschloß man, die Urteilsfällung hinauszuschieben, und ließ den General einstweilen frei, gegen Handtreue und Ehrenwort. Remchingen brach, wie erwartet, schnurstracks sein Ehrenwort, floh außer Landes, trat unter dem General Schulenburg in venezianische Dienste. Wurde in Kontumaz verurteilt, tat in mehreren Klageschriften an Kaiser und Reich, besonders in der »Innocentia Remchingiana vindicata« oder »Notgedrungenen Ehrenrettung«, erbitterten Einspruch. Spie noch durch Jahre Kot, Gift und Galle gegen Württemberg.
    Das Volk war empört über Remchingens Flucht. Nun waren alle Bluthunde ungestraft entkommen, saßen in Eßlingen,anderthalb Meilen entfernt, lachten sich den Buckel voll oder machten gar noch wie Remchingen Stank und Diffikultäten. Den einzigen Juden hatte man noch. Aber der wenigstens sollte büßen. Wieder waren die Geheimräte Pflug und Pancorbo vornean, schürten, zahlten Demonstrationen. Wilder, heftiger, drohender, drängender ging es durch das Land: »Der Jud muß hängen!«
    So lagen die Dinge, als Harpprecht dem Herzog-Administrator sein Gutachten abstattete. Der rechtliche, wahrhaftige Mann ließ sein Urteil nicht trüben durch den Haß gegen den Juden, nicht durch das tobende Volk, das laut und wie mit einer Stimme nach dem Tod des Juden brüllte, nicht durch die Gunst oder Mißgunst des Kabinetts und des Parlaments. Der Rechtslehrer urteilte: Die auf Verfassung und Amt vereidigten Räte und Minister, welche die angeklagten Befehle und Verordnungen signiert hatten, müßten prozessiert und gestraft werden, nicht der unvereidigte, in keinem Staatsamt stehende Ausländer. Jene seien nach römischem und deutschem Recht des Todes schuldig, dieser nicht. Einen einzigen Punkt ausgenommen, den fleischlichen Verkehr mit Christinnen. Und dieser Punkt könne aus mancherlei Ursach ernsthaft nicht herangezogen werden, auch habe ihn die Kommission gar nicht erst in ihre Entscheidungsgründe aufgenommen. Er kam zum Schluß, auf Grund der bestehenden Gesetze des Römischen Reichs und des Herzogtums könne Inquisit zum Tod nicht verurteilt werden; man solle ihm seinen Raub, soweit er erwiesen sei, abnehmen und ihn des Landes verbannen.
    Klein, schäbig, schief saß der eisgraue, verwitterte Herzog und hörte aufmerksam dem schweren, treuen, sachlichen Mann zu. »Er

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