Jud Sueß
großen Glanz gesehen und hoch im Blau. Ich bin ein Freund und Schüler des Rabbi Jonathan Eybeschütz, der wieder ein Freund ist Ihres Onkels, des Rabbi Gabriel. Ich hatte oft Lust, mit Ihnen zu reden, Herr Finanzdirektor. Nicht weil Sie mich vielleicht verachteten um meine Taufe und mein Christentum und weil ich Sie besser belehren wollte. Wie ich Sie jetzt sehe«, schloß er, und seine streichelnde Stimme war noch leiser, und er war fast erschüttert, »sehe ich sehr genau, daß ich um unser beider willen gekommen bin, für mich nicht weniger als für Sie.«
»Sie sind doch gekommen«, sagte Süß, »um mich zum Christentum zu bekehren? Der Stadtvikar Hoffmann hat Sie doch geschickt? Ist’s nicht so, ehrwürdiger Herr? Oder soll ich Sie Rabbi Unser Lehrer nennen?« lächelte er. Der stille Mann an der Wand sagte: »Es ist nicht schwer und es ist billig, zu trotzen und ein Märtyrer zu sein. Viele verachten mich, weil ich Christ wurde. Aber die Beschmutzung tut nicht weh. Ich rühre mich nicht und wische sie nicht weg. Denn ich hab es getan nicht um Brot und Kleid und Titel, nur für die Idee, für mein Gesetz. Sie haben Ihr Gesetz, Sie haben Ihre Idee. Ist es nicht vielleicht richtiger, dies Gesetz fertig zu leben, dieses Licht nicht verlöschen zu lassen, auch wenn man statt des Kleides Judentum das Kleid Christentum anziehen muß? In solcher Zelle zu leben« – sein sanfter, fließender Blick glitt über die kahlen Wände – »ist sicher hart. Aber wer sagt Ihnen, Exzellenz, daß alles, was hart ist, Verdienst ist?«
»Sie haben eine sehr liebenswürdige Manier, ehrwürdiger Herr«, sagte Süß, »die Heilslehren Ihrer Religion in eine komfortable Hülle zu verpacken. Ein weiches Bett, ein warmes Zimmer, Rehrücken, alter Madeirasekt sind unbestreitbare, eingängige, angenehme Wahrheiten; auch was Sie da sagen vom Wort im Wort und vom Schein im Schein, klingt gut und passabel. Aber sehen Sie, ich habe mein Palais in der Seegasse mit dieser Zelle vertauscht. Man hat mich in jedem Stück angezweifelt; aber nie hat jemand gezweifelt, daß ich ein tüchtiger Kaufmann bin. Ich muß also wohl« – er lächeltelistig – »zu solchem Tausch meine guten Gründe gehabt haben. Sagen Sie dem Herrn Stadtvikar«, schloß er heiter und verbindlich, »und sagen Sie sich selbst: Sie haben getan und geredet, was einem Menschen möglich ist. Es liegt an mir, es liegt wirklich nur an mir.«
Allein, summte er, lächelte, wiegte den Kopf. Dachte an Michaele. Die liebe, törichte Frau. Er fühlte sich schwach, schwerlos, angenehm müde. Wie ein Kranker, wohlig im Bett, Genesung spürend. So saß er, dösend, auf der Pritsche. Da, ganz unvermutet, kam das Kind zu ihm, sprach zu ihm. Es war noch viel kleiner und jünger geworden, es war klein wie eine Puppe, und es setzte sich ihm merkwürdigerweise auf die Schulter und zupfte ihn zärtlich am Bart, und es sagte: »Dummer Vater! Dummer Vater!« Sie blieb etwa eine halbe Stunde. Sie sprach auch, aber lauter ganz kleine Dinge, sie sprach mit der Wichtigkeit und dem Ernst der Kinder, von den Tulpen, von der Auslegung einer Stelle im Hohenlied, von dem Futter seines neuen Rockes. Als sie fort war, atmete Süß wie ein Schlafender, den Mund halb auf, glücklich. So gerufen hatte er sie, und sie war nicht gekommen, mit wilden, heißen, törichten Taten sie gerufen, ein grelles, ungeheures Totenopfer ihr angezündet, und sie war nicht gekommen. Was für ein Narr war er gewesen! Sie war ja so klein, ein so kleiner, sanfter, befriedeter Mensch war sie. Was denn hätte sie sollen mit seinen großen, grellen, schreienden Taten und Opfern anfangen. Aber jetzt, nun er ganz still war und sich schon beschieden hatte, sie nicht mehr zu sehen, nun auf einmal kam sie, und es war ein großes, anfüllendes Geschenk. Er ging die Zelle auf und nieder, seine fünfeinhalb Schritte, und die Zelle war reich und voll und die ganze Welt, und er streckte die Arme aus und lachte, allein und jungenhaft und laut und glücklich, daß der Wächter draußen auf dem Gang aufschrak und mißtrauisch hereinspähte.
Der Major Glaser eröffnete dem Süß, er solle sich bereit halten, anderen Tages in der Frühe nach Stuttgart zu fahren. DerMajor wußte, der Jude fahre nach Stuttgart, sein Todesurteil zu hören, aber er hatte nicht Ordre, ihm das zu sagen, und hielt es nicht für not. Süß, im linden Nachschmack der Worte Naemis, glaubte, es gehe in sein Haus zurück und in die Freiheit. Er hielt es nicht im
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