Jud Sueß
verließ, dem Herzog voraus, war er herzoglich württembergischer Geheimer Finanzrat. Der Bestallung beigefügt war ein Dekret der Herzogin, das ihn zu ihrem Schatullenverwalter ernannte.In Stuttgart ungeheure Vorbereitungen zum Empfang des neuen Fürsten. Drei Ehrenpforten mit stolzen lateinischen Inschriften und vielen allegorischen Figuren, unzählige Fahnen, Girlanden. Die Straßen gesäumt mit Volk, frostrot und angeregt durch den hellen, lustig klaren Dezembertag. Überall Ausrufer, die das Bild des Herzogs feilbieten, das berühmte Bild, wie er an der Spitze der siebenhundert Axtmänner höchst kriegerisch unter regnenden Kugeln die Festung Belgrad erstürmt. Süß hat das Bild in vielen tausend Drucken herstellen lassen, dem Herzog und dem Volk zur Freude und sich zum Verdienst, und nun balgen sich Bürger und Bauern um den billigen, patriotisch herzwärmenden Wandschmuck. Die ganze Stadt getaucht in Musik, Böllerschüsse, Geschrei. Endlich, zwei Meilen lang, der Festzug: Beamte, Offiziers, Soldaten zu Fuß und zu Pferd, Läufer, Pagen. Sechzehnspännig die Galakarosse des Herzogs. So fuhr er ein auf schneeglitzernden Straßen unter einem strahlend hellblauen Dezemberhimmel, und tausend bunte Fahnen wehten in die fröhliche Luft.
Herzen und Mäuler offen, freuten sich die Stuttgarter ihres imposanten Souveräns, der, den Pelzmantel über der breiten, vielbesternten Brust zurückgeschlagen, mit mächtigem Schädel und herrischen Augen dasaß, und mehr noch vielleicht ihrer wunderschönen Herzogin, die unter vielem weißen Rauchwerk, den kleinen, fremdartigen Eidechsenkopf unter dem Diadem, mit gelassener Neugier ziervoll und lächelnd auf sie niederblickte. Ei, was spottete sie innerlich über die Schwaben, die ihr zujubelten, ei, wieviel Lächerliches entdeckte sie an dem Sprecher der Tübinger Universität, dem dicken, befangenen, schwitzenden Professor, der sich abarbeitete an der schwäbelnden Deklamation der schwungvollen Verse, mit denen er das fürstliche Paar begrüßte. Sie hörte ernsthaft und aufmerksam zu, als er von den Völkern sprach, die der Herzog mit seinem Zepter zu weiden berufen sei, als er pathetisch verkündete, Karl Alexanders Name fasse alles zusammen, was man von Karl dem Großen und anderen Karlen spreche, wassich am Griechen Alexander weise, was Gottes Volk an Simson preise, was Herkules besessen habe, als er ihn schließlich mit dem römischen Cäsar verglich. Und nicht einmal da zeigte sie ihr Amüsement, als er den Herzog rühmte, er sei schon deswegen ewig in der Zeit, weil wie der Prinz von Ithaka sein Geist nach einem Mentor sah. Aber innerlich fragte sie sich, wer wohl dieser Mentor sei, der kleine, behutsame Geheimrat Fichtel mit seinem schwarzen Kaffee oder mit seiner Fuchsschläue und seiner Galanterie der elegante Jud.
Der stand bescheiden und in höchster Ehrfurcht ganz hinten in einer Ecke beim Gesinde. Er hatte es für klug gehalten, still und ohne großes Aufsehen in Stuttgart einzufahren, er hatte sein stattliches Haus bezogen und war vorderhand nicht sehr aufgefallen. Aus seinem Leibdiener, dem stillen, phlegmatischen Nicklas Pfäffle, war nichts herauszukriegen; es war eben ein großer Herr vom Hofstaat des neuen Herzogs. Allgemach erst erfuhr man, daß der Geheime Finanzrat, trotzdem er aussah und sich hielt wie jeder andere große Herr, ein ganz gemeiner, ungetaufter Jud war. Nun war eigentlich den Juden der Aufenthalt im Herzogtum verboten. Die Herren von der Landschaft machten auch scheele Gesichter und hätten den neuen Finanzrat am liebsten aus dem Land geschafft; aber man wollte nicht um solch ein kleines Ding sogleich Hader mit dem neuen Herzog haben. Das Volk begaffte den Juden neugierig und mißtrauisch; allein man sagte sich, bei den verwickelten Finanzverhältnissen des Kammerguts und bei der Schläue der Juden, die die Grävenitzschen Finanzen verwalteten, müsse man dem Herzog billig auch seinerseits einen Hofjuden zugestehen. Ferner mußte man zugeben, daß der neue Jud sich vorläufig anständig und unauffällig führte, und jetzt bei der Erbhuldigung hielt er sich trotz seines großen Titels und seiner stolzen Uniform bescheiden im Winkel.
Aber drei Tage später, beim Empfang der Landschaft, war er schon ganz anders. Stolz, kalt, scharf stand er unter den Ministern und blickte ablehnend fremd auf das Gewimmel der Landschaft. Das kleine Häuflein des Kabinetts, unter ihm derJude, stand in bunten, prunkenden Uniformen, hochmütig getrennt von der
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