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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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dichten, schwärzlichen Masse der Parlamentarier. Vierzehn Prälaten zählte diese Kammer und siebzig Abgeordnete der Städte und Ämter. Nur wenige wie der feine, kluge Weißensee und der verarbeitete Konsulent Veit Ludwig Neuffer hielten sich über der Lage; die meisten trugen besorgte, befangene, schwitzende Gesichter und standen trotzig und unsicher vor der kalt blickenden, hoffärtigen Gruppe der Minister. Unter denen war der Präsident des Conseils, Forstner, und der zweideutige, geschmeidige Neuffer, die schon bei Lebzeiten des alten Herzogs die Stützen Karl Alexanders gewesen waren und die Pläne der Landschaft mit dem Prinzen Heinrich Friedrich gestört hatten. Dann Andreas Heinrich von Schütz mit der mächtigen Hakennase, Kreatur ursprünglich der Grävenitz, der sich unter jeder Regierung hielt. Nichts Gutes versah sich die Landschaft von diesen dreien, nichts Gutes auch von dem Juden, dessen Beiziehung zu dem feierlichen Empfang eigentlich eine Anmaßung war. Wie eitel und üppig der Kerl dastand! Es war, weiß Gott, eine Herausforderung der löblichen Landschaft. Nun, wart Er nur, man wird noch Wege finden, Ihm Mores beizubringen.
    Zutrauen hatten die Stände nur zu einem einzigen von den Ministern, und daß der Herzog den ins Kabinett berufen hatte, machten den Neuffer und den Juden wieder wett. Das war Georg Bernhard Bilfinger, der Philosoph und Physiker. Karl Alexander hatte den behäbigen Mann mit dem offenen, fleischigen, energischen Gesicht kennengelernt, als er gewisse Berechnungen und Festungsentwürfe von ihm nachzuprüfen hatte. Und so mißtrauisch er gegen alle Philosophie war, konnte er der Lockung nicht widerstehen, den zuverlässigen Mathematiker und Festungsbauer in sein Kabinett zu rufen statt eines Juristen.
    Die beiden Gruppen, die kleine der Minister und die große der Parlamentarier, standen sich gegenüber wie zwei feindliche Tiere, das eine groß, plump, schwärzlich, hilflos, das andere klein, schillernd, bunt, beweglich, gefährlich. Aber trotzder betonten äußeren Distanz liefen Fäden von der einen Gruppe zur andern, Fäden von dem Parlamentarier Neuffer zu seinem Bruder, dem Minister, von dem ernsthaften, biedern, patriotischen Landschaftspräsidenten Sturm zu dem ernsthaften, biedern, patriotischen Geheimrat Bilfinger und schon von dem nervösen, feinen, neugierigen Diplomaten Weißensee zu dem merkwürdigen, zweideutigen, glatten, eleganten, neuen Finanzienrat, dem Juden, der hebräischen Exzellenz.
    Die Versammlung wartete sehr lange, eine Stunde fast über die angesetzte Zeit. Und noch immer kein Huldigungsmarsch, noch immer nicht die Präsentierkommandos der Garden im Vorsaal, noch immer die Türen verschlossen, die aus den Privatgemächern des Herzogs führten. Schwitzend in dem überheizten Saal, knurrend, finster traten die Repräsentanten des Volkes von einem Fuß auf den andern, auch die Minister begannen unruhig zu werden. Daß der Herzog vom ersten Augenblick an das Parlament dergestalt brüskierte, kam unerwartet. War es Absicht? Laune? Zufall? Vergeßlichkeit?
    Nur einer wußte es. Der Jude stand, lächelte, kostete den seltsamen Triumph, den sich Karl Alexander ausgedacht, verstehend und genießerisch mit. Die Landschaft hatte mit seinem Bruder gezettelt? Gut, so mochte sie sich jetzt die Beine in den Bauch warten, dieweilen er sich mit der Freundin seines Bruders, dem sanften, dunkelblonden, ruhevollen Geschöpf, vergnügte.
    Der Geheimrat Andreas Heinrich von Schütz las die Verfassungsakte vor, die der Herzog beschwören mußte. Beigefügt waren auch jene Bestätigungen und Versicherungen, die Karl Alexander noch als Prinz abgegeben hatte und die Neuffer unmittelbar nach dem Ableben Eberhard Ludwigs den Herren vom Parlament überreicht hatte. Furchtbar umständlich, vorsichtig, langatmig war alles festgelegt. Nicht sehr laut, mit gleichmäßiger, gewandter Stimme, durch die mächtige Hakennaseleicht französelnd, las Herr von Schütz das endlose Schriftstück, der Saal war überheizt, eine Winterfliege summte, von den vielen Menschen in ihren schweren Kleidern ging Dunst, Atem, leises Geschnauf aus. Unwirsch, verärgert sah Karl Alexander in die vielen stumpfen Werkeltagsgesichter, die sich bemühten, pathetisch zu blicken, unwirsch, verärgert hörte er auf den Vortrag dieser steifen, feierlichen Urkunden, von denen jedes Wort für ihn Bindung, frechen, anmaßlichen, rebellantischen Zwang bedeutete. Und das näselte so fort, endlos, endlos. Er mußte an

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