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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Wann endlich wird er den kleinen, weißglänzenden Würfel des Hauses sehen und die Blumenterrassen davor und sein Kind darin? Da, von der Landstraße ab, der Karrenweg. Er verläßt den Wagen, biegt, immer stärkeren Schrittes, in den Fußpfad ein. Hier ein Zaun, er öffnet das versteckte Tor, jetzt die hohen Bäume, die Beete jetzt, und jetzt, atmend, hingegossen hängt das Kind an seinem Hals, vergehend.
    Spricht nichts. Spricht eine lange, ewige Weile nichts. Hängt an ihm, verströmend, klammert sich, trinkt ihn mit ihren großen, erfüllten Augen in sich hinein. Süß steht, und all das Gespannte, Äugende, Lauersame fällt von ihm ab. Gelöst läßt er sich treiben in dem lauen, wohligen Fluß der Stunde.
    Wie schön ist sein Kind! Sie ist ganz vollendet. Es ist kein Zug an ihr, keine leiseste Bewegung, kein Haar, kein Flackern in der Stimme, das er anders wünschte. Schön ist sein Kind vor den Frauen, zart ist sie und rein ist sie, reinglühend wie ein zartes Licht, ihn selber glüht sie rein. Er hat mit ihr seine zutunliche Freude an der alten, watschelnden, herzlich ergebenen Zofe Jantje, er, dem alles Gewächs und Getier kalte, erdstumme Dinge waren, lernt die einzelnen Blumen verstehen, als sprächen sie; sie haucht den Dingen von ihrem sanften Atem ein, und er spürt ihr Leben in den Dingen.
    War der Rabbi da, so hatte er fast Scheu vor dem Mädchen, er stand zwischen ihnen wie eine Wand. Jetzt wagten sich Wünsche und Ziele an sie hervor, die bisher geschwiegen hatten wie geduckte Hunde. Warum versteckt er das Kind vor den Menschen? Eine Königin von Saba, eine Königin Esther soll sie werden. Strahlen soll sie vor aller Welt, Fürsten sollen kämpfen um sie, sollen bei ihm betteln um sie, aus phantastischen Reichen sollen Prinzen kommen und Gold und Gewürz und alle Schätze Edoms vor ihre kindlichen Füße legen.
    Aber da stand er mit Naemi in der Bibliothek. Tafeln waren da mit magischen Figuren und astrologische Tabellen, und plötzlich überkam es ihn, als seien die Augen des Alten irgendwo im Zimmer, als starrten sie auf ihn, trübgrau, mürrisch, lähmend traurig. Und die goldenen Träume, mit denen er eben noch das Kind behängt hatte, schienen ihm plötzlich Schleim und Ekel.
    Doch da sprach Naemi. Mit ihrer kleinen, kindlichen Stimme sprach sie von dem kabbalistischen Baum, dem himmlischen Menschen, den heiligen Buchstaben-Ziffern des Gottesnamens; ihre erfüllten Augen standen groß und fromm in dem sehr weißen Gesicht, und die schwere, lähmende Luft war fort.Süß setzte nicht wie an seinem Schreibtisch mit amüsiertem Hohn den Zeichen der Kabbala die höchst realen Ziffern seiner Hauptbücher entgegen, wehrte sich auch nicht mit stumpfem, gebundenem Trotz wie in der würgenden Gegenwart Rabbi Gabriels.
    Und dann, belebter, sprach sie von den Menschen der heiligen Geschichten. Ihr Aug, hingegeben, verströmend, hing an ihrem Vater, und kühnen Schrittes trat David ins Gemach, stolz blickend, mit der Schleuder, Simson stürmte vor, und rechts und links sanken die Philister, voll heiligen Zornes jagte Juda der Makkabäer die Heiden aus dem Tempel. Und alle waren sie er, flossen sie in eins mit ihm, borgten von ihm ihre Kraft, Schönheit, ihren Eifer und Sturm. Doch da mit einemmal stockte sie und wölkte sich. Sie sah Absalom, hängend mit dem reichen Haar im Geäst. Und sie griff, die Augen groß auf, die Schultern überschauert, nach der Hand des Vaters, hielt sich an ihr, der warmen, lebendigen, hielt sich sehr fest. Er erwiderte den Druck, aber er ahnte nicht, was sie bewegte.
    Drei Tage lebte er so, schwerlos und gelöst vom Wirbel seines Alltags. Am dritten Tage plötzlich, er war allein im Zimmer und Nicklas Pfäffle stand vor ihm, fetten, unbewegten Gesichts, fiel die Außenwelt ihn an, das Zurückgelassene. Er sah seine Akten, auf Unterschrift wartend, getürmt, er sah die wirbelnde Welt, und sie wirbelte ohne ihn. Beamte, Geschäftsleute, alle jagten, hetzten, kribbelten hinauf, zielten hin, wo er stand, gefährdeten ihn, und er hatte seine Hand nicht im Getriebe, er saß hier fernab, kümmerte sich um nichts. Was alles konnte ihm entgleiten mittlerweile, was alles gegen ihn gewendet werden. Unbegreiflich, daß er so ruhig hier saß, unbegreiflich, daß er die Tage her an nichts gedacht hatte. Die Blumen sanken ihm zurück in ihre Stummheit, nichts mehr spürte er vom Hauch und Leben der Dinge, die Ziffern und Figuren der heiligen Wissenschaft waren ihm albernes Zeug. Vor ihm

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