Jud Sueß
standen Rentabilitätsberechnungen, herzogliche Reskripte, Intrigen der Landschaft, komplizierteGeschäfte, Leben, Macht. Mit halber Seele nur schaute er auf sein Kind, das ihm, verströmend, im Arm lag. Er riß sich los, und schon lag das Mädchen, das weiße Haus, die feierlich frohen Blumenterrassen wesenlos hinter ihm, und die Kapsel sprang zu.
Wie er durch den Wald ging, mit Nicklas Pfäffle, rasch, dem Karrenweg zu, sah er plötzlich unter einem Baum am Rand einer Lichtung ein Mädchen, bräunlich kühnes Gesicht, starkblaue, große Augen seltsam unter dunklem Haar, die Hände hinterm Kopf verschränkt, hinstarren schräg hinauf durch die Stämme. Aber nicht in der Haltung einer Ruhenden, sondern angestrengt, gekrampft. Er ging gerade auf sie zu; sie war schön, sehr anders als die Mädchen im Lande, auf dem bräunlich kühnen Gesicht standen sonderbare, nicht alltäglich schwäbische Gedanken. Erst als er auf dem weichen Waldboden ganz nah an ihr war, sah sie ihn, sprang auf, starrte ihn an aus schreckgeweiteten Pupillen, schrie: »Der Teufel! Der Teufel geht durch den Wald!«, lief fort. Dem erstaunten Süß erklärte der gleichmütige, alleswissende Nicklas Pfäffle: »Die Magdalen Sibylle Weißenseein. Tochter des Prälaten. Pietistin.«
In der Kutsche überlegte Süß, es sei praktischer, nun er schon unterwegs sei, gewisse Geschäfte mit seinen Frankfurter Geldleuten persönlich zu erledigen. Allein dies war ein Vorwand, mit dem er sich selbst belog. Was not tat, war nicht persönliche Besprechung jener Affären in Frankfurt, was ihm not tat, was er ersehnte nach dem seltsamen und unsichern Hin und Her in dem Haus mit den Blumenterrassen, das war Bestätigung seiner selbst, seiner Macht, seines Erfolges, Widerhall, Sicherung. Er schickte nach seinem Sekretär, nach Dienerschaft. Fuhr groß und glänzend in Frankfurt ein.
Es standen staunend und erregt die Frankfurter Juden, steckten wackelnde Köpfe zusammen, schnalzten verwundert, bewundernd, hoben vielbeweglich die beredten Arme. Ei, der Josef Süß Oppenheimer! Ei, der württembergische Hoffaktor und Geheime Finanzienrat! Ei, was hatte er esweit gebracht! Sein Vater war Schauspieler gewesen, seine Mutter, die Sängerin, schön, elegant, nun ja, nun ja, aber eine leichte Person, keine Ehre für die Judenheit, sein Großvater, Reb Selmele, das Andenken des Gerechten zum Segen, ein braver Mann, Kantor, ein frommer, geachteter Mann, aber doch ein kleiner, armer Mann. Und nun der Josef Süß, so hoch, so glänzend, so mächtig, viel höher als sein Bruder, der Darmstädter, der Getaufte, der sich hat taufen lassen, um Baron zu werden. Ei, wie sichtbarlich hat der Herr ihn erhöht. Trotzdem er ein Jud ist, reißen die Gojim die Mützen vor ihm herunter und bücken sich bis zum Boden, und wenn er pfeift, kommen die Räte und Minister gerannt, als wäre er der Herzog selbst.
Süß schleckte gelüstig die Bewunderung. Er machte eine Spende, hoch zum Erstarren, für die Synagogenbedürfnisse, die Armen. Der Gemeindepfleger kam und der Rabbiner, Rabbi Jaakob Josua Falk, ein ernsthafter, kleiner, nachdenklicher Mann, welke Haut mit dicken Adern, tiefliegende Augen, sie bedankten sich, und der Rabbiner gab ihm Segenswünsche auf den Weg.
Und er stand vor seiner Mutter, und die schöne, alte, törichte Frau breitete ihre eitle Bewunderung unter seine Füße wie einen weichen Teppich. Er badete in dieser lauen, ungehemmt über ihn hinwellenden Bestätigung, aus hundert blanken Spiegeln strahlte alles Erreichte berauschend auf ihn zurück; seine heimlichsten Träume kramte er aus versteckten Winkeln vor diese willigste Hörerin, die selig lächelnd seine Hand tätschelte. Zäh entschlossen, von keiner Nachwallung des weißen Hauses beirrt, bis zum Rand gefüllt mit kühnen, unerhörten Entwürfen, kehrte er nach Stuttgart zurück.
Der Krieg war aus, Karl Alexander fuhr heim in seine Hauptstadt. Er war schlecht gelaunt. Der nächste Zweck zwar war erreicht worden, er hatte sein Land vor Überfall und Plünderung gewahrt. Auch waren alle Operationen kunstgerecht, methodisch vor sich gegangen, alle taktischen Fragen ausgezeichnetgelöst, er hatte gezeigt, daß er ein Faktor war, daß man mit ihm als Feldherrn wie als Besitzer einer ansehnlichen Armee rechnen mußte. Aber eigentlich waren das doch recht magere Resultate und weit entfernt von der Gloire, von der er geträumt. Verdrossen saß er in seiner Kutsche, das Übel seines lahmenden Fußes hatte sich
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