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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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aufweisen.
    Aber, schon in der Karosse, zwischen gaffendem, barhäuptigem Volk sagte sie über den Nacken des tief auf ihre Hand geneigten Finanzienrats mit ihrer langsamen, aufreizenden Stimme: »Alles fein, Jud, alles schön. Aber das Zimmer, wo die kleinen Christenkinder geschlachtet werden, hat Er mir doch nicht gezeigt.« Und lachte ihr kleines, glockiges, amüsiertes Lachen und fuhr davon.
    Süß aber stand barhaupt vor seinem Haus, und das Volk gaffte und stieß sich an, und er achtete es nicht und schaute ihrer Karosse nach mit den wölbigen, fliegenden, beredten Augen, die sehr roten Lippen leicht offen in dem weißen Gesicht.
    Mit dem zunehmenden Frühling verließ Rabbi Gabriel plötzlich, wie es seine Art war, das weiße, kleine Haus mit denBlumenterrassen. Er reiste, unscheinbar, ohne Diener, sein massiges, schweres Gesicht tauchte hier auf, dort; er zeigte nie Eile, hatte nirgendwo besondere Geschäfte; aber er blieb auch nirgendwo rasten, er reiste stetig und, so zickzack seine Fahrt ging, immer weiter wie auf vorgezeichnetem Weg.
    Tauchte in die Berge. Saß zwei Tage lang in einem Bauernhaus an einer kleinen Brücke über einen Wildbach, schaute zu, wie die geflößten Stämme das strudelnde Wasser hinabtrieben, sich stauten, überkreuzten, liegenblieben, in dem schwellenden Bach weiterschwammen. Hörte Nächte hindurch das endlose Geläute des Viehs, das auf die Almen getrieben wurde. Fuhr den langsamen Paß hinauf, der nach Süden führte. Wind kam von Mittag, es hatte geregnet, feuchte, schwere Luft ging, dunkelbläulich lagen die Berge. Er stieg aus, stapfte dem beschwerlich knarrenden Wagen voraus. Auf dem nassen, sonnglänzenden Weg schleppte eine große Schnecke ihr Gehäus; sorglich wich er, im letzten Augenblick, ihr aus. Eine Viertelstunde später zerknirschte sie sein Wagen.
    Er überschritt, tief durch Schnee watend, die Paßhöhe. Freier wehte es, warm und wohlig ihm entgegen. Gesegnet breitete sich, hoch durchblüht, das Land. Er kam an einen weiten, sehr großen See. Verweilte. Hockte lange Stunden am Ufer, unbeweglich, schwer, wie besonnter Stein. Dunkelgrün standen satten Laubes die Orangenbäume, weiter unten klommen silbern und leicht Oliven die Uferhänge hinauf.
    Unterdes fuhr Süß nach Hirsau. Seitdem der Oheim das Kind ins Land gebracht, seit seiner wortlos höhnischen Mahnung hatte er das Verkapselte niemals wieder so fest schließen können wie früher. Ein Hauch davon kroch über seine Papiere, wenn er rechnete, schlich sich in seine Nächte, wehte ihm in den Nacken, wenn er glanzvoll und angehaßt auf seiner weißen Stute Assjadah durch die Straßen ritt, daß das Tier unruhig wurde, leise bäumte, wieherte. Es kam vor, daß er, der sachliche Rechner, der die Dinge scharf und nüchtern und nackt in ihren Grenzen sah und bei ihrem Namen nannte, amlichten Tag überschreckt zusammenfuhr, atmete, die Schultern hochzog wie in Abwehr; ein Gesicht schaute ihm über die Schulter, im Dämmer, nebelhaft, und es war sein eigenes.
    Längst trieb es ihn, nach Hirsau zu fahren in das weiße Haus mit den bunten, fröhlich feierlichen Terrassenbeeten. Was ihn, ohne daß er es sich gestand, immer wieder hemmte, war die Nähe Rabbi Gabriels, das Atemsperrende, Unbehagliche, Lastende seiner unausweichlichen, müden, fordernden, trübgrauen Augen.
    Er gestand sich auch jetzt nicht ein, daß es die Abwesenheit des Alten war, die ihn nun auf einmal so rasch den Entschluß zur Fahrt hatte fassen lassen. Er fuhr zu Naemi, er fuhr, nur von Nicklas Pfäffle begleitet, er war so leicht und frei wie noch nie. Er fuhr zu seinem Kind, und er war schon bei seinem Kind, und alle seine Ziffern und Politik und Macht und Eitelkeit blieb lahm und staubig dahinter. Er sah den jungen Acker, und er roch seinen Duft, und er rechnete nicht, wieviel dieses Feld bringen werde und wie man aus dem Umsatz dieses Getreides neue Steuern quetschen könne, sondern er sah nur die sanfte Farbe des jungen Korns und roch den wehenden Wind über dem Feld. Und er freute sich an den hohen, feierlichen Bäumen des Waldes ohne Berechnungen des Forstetats, ja er freute sich am Moos und, jungenhaft, an den Eichkätzchen, mit denen doch finanztechnisch gar nichts anzufangen ist. Und als er einen Bauernburschen sah, den Arm um die Hüften seines Mädchens, nickte er ihnen zu, und nur ganz ferne tauchte ein Gedanke auf an die raffinierte Steuerbelastung der jungen Ehen. Er fuhr zu seinem Kind, und sein Herz war schon bei seinem Kind.

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